«Ich habe einen Vertreter der Behörde gefragt: Warum darf ich Samstag, Sonntag den Rasen nicht mähen, aber die Flugzeuge dürfen Tag und Nacht mit 100 Dezibel über mich drüberfliegen?» Josef Höppel bringt die ganze Sache sehr österreichisch auf den Punkt. Ein Rasenmäher lärmt bei etwa 80 Dezibel. Eine Lautstärke, die zu Langzeitschäden führen kann.
Josef Höppel ist Bauer in Zwölfaxing, einer kleinen Gemeinde südlich von Schwechat. Er baut an, «was hier üblich ist», Zuckerrübe, Sonnenblume, Getreide. Die Landschaft ist flach, zwischen den Äckern stehen Windschutzhecken. Den Hof hat schon sein Vater bewirtschaftet; damals war auch das mit dem Fluglärm noch nicht so unerträglich. Josef Höppel ist kein Feind des Flughafens, im Gegenteil: «Ich war selbst Privatflieger. Ich bin dem Flughafen gegenüber positiv eingestellt, in jeder Beziehung. Aber es sollte einen Interessensausgleich geben.» Der Fluglärm, sagt Höppel, ist in manchen Teilen von Zwölfaxing so schlimm, dass man im Wohnzimmer das Gespräch unterbrechen muss, wenn ein Flugzeug übers Haus fliegt. Tatsächlich ist das Krachen der niedrigfliegenden Maschinen hier so beeindruckend, dass sich jede Erklärung dafür, was denn eigentlich das Problem sei, erübrigt.

Mehr Fliegen, weniger CO2 – Zauber oder Ablasshandel?

Anfang Oktober tagte die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation der UNO (ICAO) in Montreal. Die Luftfahrt muss sich der Klimafrage widmen!, ist ein zentrales Motto. Aber wie geht das zusammen? Gar nicht, sagt Lena Heuwieser von «System Change, not Climate Change», einer Bewegung für Klimagerechtigkeit. Es sei absurd und sinnlos, wenn einer der größten Kohlendioxid-Emittenten – die Luftfahrt – sich darum bemühe, «grüner» zu werden. «Als wichtigstes Ziel gibt die ICAO Wachstum an, das sie ‹greenwashen› wollen, ohne die Emissionen runterzufahren. Was bleibt, ist Ablasshandel: Projekte bezahlen, die an anderen Orten der Welt für sie die Emissionen reduzieren sollen. Komplett hirnrissig.» Gegen individuelle Vielfliegerei erhebt sie nicht den Zeigefinger: «Das ist eine Moralkeule, die nichts bringt.» Es müsse politisch durchgesetzt werden, dass der Flugverkehr nicht weiter wächst, «und erst recht nicht bei uns im globalen Norden, wo wir eh für den Großteil des Klimawandels verantwortlich sind und die Auswirkungen in den Ländern zu spüren sind, in denen die Leute am allerwenigsten fliegen».
In Wien fand Anfang Oktober das erste österreichische Klima-Camp statt. Auf einer Wiese in Enzersdorf an der Fischa wurde ein kleines Zeltdorf errichtet – mit klimagerechten Kompostklos. «There is no Plan(et) B», steht auf dem Transparent am Camp-Eingang. Eine Fahrraddemonstration zieht vom Wiener Karlsplatz bis zum Flughafen, um dort mit den Bürgerinitiativen zu protestieren. Der Ärger richtet sich nicht allein gegen den schon bestehenden Fluglärm und die Umweltverschmutzung. Am Flughafen Wien Schwechat soll eine dritte Piste gebaut werden. Es ist eines der größten Infrastrukturprojekte, die Österreich zu bieten hat – und kaum jemand redet darüber.

Es ist, wie es ist, weil es so gesagt wurde

Brigitte Buschbeck engagiert sich gegen die dritte Piste. Eigentlich will man mit ihr ein ganzes Interview nur über ihr Fachgebiet, die Hochenergiephysik, führen, über ihre Arbeit an der Akademie der Wissenschaften und bei CERN, über Quarks und Gluonen und ihre Entscheidung, in den 50er Jahren Physik zu studieren. Die Liebe zum Fach stand in Widerstreit mit dem aufkeimenden Wissen über die Umweltproblematik. «Ich wollte eigentlich zu Greenpeace gehen; ich habe mir das so nett vorgestellt, dass man sich irgendwo abseilt.» Bis zur Pensionierung vor fünfzehn Jahren blieb sie jedoch der, wie sie selbst sagt, «Wissenschaft im Elfenbeinturm» treu. Brigitte Buschbeck wohnt in Liesing. «Wir sind in den 70er Jahren hierher gezogen, wir wollten ins Grüne», erzählt sie, der Fluglärm sei «überfallsartig» gekommen, heute könne man sich im Garten nicht entspannen, «weil man nie weiß, wann der nächste Flieger kommt. Enervierend.» Der Mensch, sagt sie, reagiere auf den Fluglärm mit Bluthochdruck: «Sie können sich vorstellen, wie gesund das ist.» Trotzdem ist ihr primäres Anliegen der Umweltschutz. Die Wirkung von CO2-Ausstoß, verstärkt durch die Kondensstreifen, erklärt sie uns im Detail. Lärm, Klimaauswirkungen, Luftverschmutzung sind die drei Problemkinder, die mit dem Ausbau des Flughafens noch verschärft würden. Von der Verschwendung landwirtschaftlichen Bodens gar nicht zu sprechen!
Aber wozu denn überhaupt die dritte Piste? Auch Johanna Aschenbrenner-Faltl von der Antifluglärmgemeinschaft, die wir in Inzersdorf treffen, hat eine «österreichische Antwort» parat: «Ich weiß nicht, wieso Pröll und Häupl so dran festhalten. Das haben sie halt mal so gesagt, und darum ist es so.»

Land der enteigneten Äcker

Kathrin Hanzl von der Pressestelle Flughafen Wien AG ist sehr freundlich zu mir, hegt aber sichtlich den Verdacht, dass der Augustin kein Freund der dritten Piste ist. Vielleicht, weil der dritten Piste generell die Freund_innen abhanden kommen. Bei der Protestkundgebung vorm Flughafen murmelt ein anwesender Flughafenangestellter, dass das Gerücht längst die Runde mache, es werde die Piste sowieso nie geben. Schlechte Stimmung! Meine Fragen, was mit «Kapazitätsgrenzen» und «Standortgefährdung» gemeint sei (ein Vokabular, das ich mir aus den Infoblättern der Flughafen Wien AG angeeignet habe), bezeichnet Kathrin Hanzl als schwierig, da müsse sie recherchieren. Nachmittags ruft sie mich zurück und erzählt mir vom Mediationsverfahren (der Augustin berichtete im März 2015) – von den handfesten Interessen, die es am Bau der dritten Piste ja auch geben muss, erfahre ich nur, dass man gerne ein Transferflughafen für osteuropäische Destinationen sein will.
Interessiert bin ich auch an den Maßen der zu verbauenden Fläche – aber die will oder kann mir Hanzl nicht nennen. Betrachtet man das Luftbild, auf dem der bestehende Flughafen und der Zubau für die dritte Piste eingezeichnet sind, so erschließt sich bar jeder GIS-Kenntnisse, dass das geplante Projekt mehr Fläche braucht als durch den bestehenden Flughafen schon verbaut ist. Schnuckeliges Detail: Der Katharinenhof, ein Gutshof, der höchst ungünstig in der Landschaft steht, wird vom Neubau eingekreist werden. Muss die Bäuerin mit dem Traktor künftig die Piste queren? Nein, sagt Josef Höppel, «der Hof soll bestehen bleiben und durch einen Tunnel an die Straße angebunden werden.» Er, dessen Flächen nicht betroffen sein werden, ärgert sich vor allem über die anstehenden Landenteignungen. «Kommt die Piste, dann wird enteignet, kommt sie nicht, dann kann man weiter Landwirtschaft betreiben. Aber man weiß eben nicht, was die Zukunft bringt. Und verkaufen kann inzwischen auch niemand, weil wer wird dir Land abkaufen, das ihm dann für ein Butterbrot enteignet werden kann?»

Die Leute werden selbstbewusster

Als wir – die Zeitungs- und TV-Redaktion – mit der Recherche zu diesem Monsterprojekt begannen, lag der Verdacht nahe, dass in den österreichischen Medien deswegen kaum darüber berichtet wird, weil die ökonomische Abhängigkeit von diversen Playern im Flughafenspiel eine Kritik an der dritten Piste nicht erlaubt. Zwischenzeitlich meint man aber zu ahnen, dass die Wahrheit woanders liegt: Die dritte Piste ist einfach ein immens kompliziertes Projekt. Man mische wirtschaftliche Interessenskonflikte, politische Machtverhältnisse und sehr spezielle Zugänge zur Gewaltentrennung in einen Topf und würze mit der typisch österreichischen Art, Bauvorhaben zu verhandeln. Raus kommt das nächste riesige Verkehrsprojekt – mit der hierzulande üblichen Ungewissheit, ob es jemals umgesetzt wird.
Viel Licht ins Dunkel der Sinnfrage bringt auch die Info-Website des Flughafens selbst nicht. Von «weniger Treibstoffverbrauch und Lärm durch Vermeidung von ‹Warteschleifen› der Flugzeuge in Stoßzeiten» ist die Rede, aber gleichzeitig auch davon, dass die dritte Piste verhindern würde, dass die Entwicklungskurven «sowohl bei den Passagierzahlen als in der Folge auch bei den Beschäftigten» abflachen. Bedeutet das nicht logischerweise, dass für den sinnvollen Einsatz der dritten Piste der Flugverkehr ansteigen muss – und damit auch Treibstoffverbrauch und Lärm? Ja, der Flugverkehr werde ansteigen, sagt Kathrin Hanzl von der Pressestelle Flughafen Wien AG mir am Telefon. Ab 2020 sei damit fest zu rechnen. Unsinn, meint Johanna Aschenbrenner-Faltl: Seit 2008 sinken die Flugbewegungen und die Transferpassagierzahlen, auf die der Ausbau des Flughafens setzt. Vor mehr als zehn Jahren hat sie die Antifluglärmgemeinschaft gegründet. Ein paar hundert Menschen sind da versammelt, von Mariahilf bis Zwölfaxing, die gesellschaftliches mit Eigeninteresse verbinden und zehn Euro monatlich einzahlen. Damit werden Gegengutachten finanziert, die in das Verfahren zur «Umweltverträglichkeitsprüfung» (UVP) eingebracht werden. Die UVP ist das goldene Kalb, mit dem alles steht und fällt. Aktueller Verfahrensstand ist zweite Instanz kurz vorm Abschluss. «Wenn wir die verlieren, kann jederzeit gebaut werden», sagt Lena Heuwieser; ein weiterer Einspruch habe keine aufschiebende Wirkung mehr. Frau Buschbeck ist guter Dinge; Herr Höppel sieht das Problem vor allem in der multiplen Rolle von Niederösterreich: «Das Land ist in allen Instanzen vertreten. Es ist Antragssteller, als Aktionär Mitbesitzer des Flughafens und gleichzeitig die Behörde, die bestimmt, ob das genehmigt wird oder nicht.» Dennoch ist er nicht ganz pessimistisch: «Früher hat man gesagt: Na gut, das ist die Behörde, da kannst nichts machen. Aber die Leute werden selbstbewusster.» Und Frau Aschenbrenner-Faltl meint mit einem Augenzwinkern: Zur Not könne man sich immer noch anketten. «Aber es wäre mehr als traurig, wenn man so etwas tun müsste.»