Diagonal gegenüber der internationalen Automesse IAA in München fand in Zagreb die Degrowth Konferenz statt. Florian Ferstl fasst zusammen was Degrowth meint und welche Perspektiven diese Alternative zum gebetsmühlenartig wiederholten Wachstumsdogma der Wirtschaftselite bietet.

Credit: Colectivo Desazkundea (Decrecimiento)

Von Florian Ferstl, , erschienen auf mosaik-blog

Die Krisenhaftigkeit der Zeit, in der wir leben, ist allgegenwärtig. Ob es die Finanzkrise der 2000er Jahre, die vergangene Pandemie oder der immer präsenter werdende Klimawandel ist: Unsere Zukunft sieht wenig malerisch aus. Als Grund für all diese Krisen machen zahlreiche Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem aus, in dem wir leben. Deshalb fordern sie eine Abkehr von ihm und eine neue, transformative Strategie, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und unseren Planeten lebenswert für alle zu machen. Diese Strategie heißt Degrowth .

Im Deutschen gibt es keine wortwörtliche Übersetzung des Begriffes. Degrowth bedeutet grundsätzlich eine Verneinung von Wachstum und bezieht sich somit auf eine Kritik am wirtschaftlichen Wachstum, welchem sich nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Politik, Gesellschaft, zwischenmenschliche Beziehungen und vieles mehr unterordnen. Zum Beispiel wird in Diskussionen um die Verteilung von Ressourcen und um die Bedürfnisse der Bevölkerung dem Bruttoinlandsprodukt unhinterfragt der höchste Stellenwert eingeräumt. Klimaschädliche Industrien schließen, wenn das dem Wirtschaftsstandort schadet? Vollkommen unmöglich!

Dabei muss es bei Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens doch zuerst darum gehen, wie das Grundbedürfnis aller Menschen des Planenten auf ein würdiges Leben gedeckt werden kann. Degrowth ist der Meinung, dass das auch ohne Wachstum geht. Und dass grenzenloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten zum Scheitern verurteilt ist.

Wurzeln von Degrowth

Die Wurzeln der Degrowth-Bewegung finden sich Anfang des Jahrtausends in Frankreich. Eine Lyoner Zeitschrift veröffentlichte 2002 eine Ausgabe zu dem Leitthema „décroissance“, die große Aufmerksamkeit hervorrief. 2008 fand die erste Internationale Degrowth Konferenz in Paris statt. Ihr sollten weitere folgen, in Barcelona, Leipzig, Malmö. Und 2023 in Zagreb.

Im Museum für Zeitgenössische Kunst, in der Messe Zagrebs und im Jugendzentrum im Norden der Stadt erörterten Vertreter*innen aus Wissenschaft und Aktivismus Fragen zum sozial-ökologischen Wandel. Wie hängen der Kapitalismus und die Klimakrise zusammen? Ist es möglich die soziale und die ökologische Krise in den Grenzen unseres Systems zu lösen? Wenn nein: Wie stellen wir uns ein alternatives System vor, in dem wir gerne leben würden?

Planet, People, Care: It Spells Degrowth

Dabei stand das Motto „Planet, People, Care: It Spells Degrowth“ ganz im Zentrum. Der Ursprung der Degrowth-Bewegung liegt in dem Bewusstsein für die planetarischen Grenzen begründet. Der Überkonsum des Westens strapaziert diese mit katastrophalen Folgen. Es ist kein Zufall, dass der Begriff „décroissance“ zum ersten Male Aufmerksamkeit erlangte, als auch die medienwirksame Studie „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome veröffentlicht wurde.

Die zahlreichen Vorträge der Konferenz veranschaulichen auch, dass der Mensch selbst Dreh- und Angelpunkt des Degrowth-Gedankens ist. Ihm müssen die notwendigen Grundbedürfnisse für ein würdiges Leben zu Verfügung gestellt werden. Private Pools und SUVs gehörten da nicht dazu, wohl aber Trinkwasser, Energieversorgung, Bildung, öffentlicher Transport oder Nahrungssicherheit.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das jetzige System es nicht nur in den Ländern des Globalen Südens nicht schafft, genau diese Grundbedürfnisse zu decken. Daher ist die Antwort von Degrowth auf die Probleme unserer Zeit: Systemwandel! Wie der aussehen könnte, thematisierte beispielsweise die Ortsgruppe „Degrowth Vienna“ in einem Workshop. Dabei gingen die Veranstalter*innen auf öffentliche Dienstleistungen und Praktiken ein, die es heute schon gibt und einen Gegenentwurf zum wachstumsorientierten Denken darstellen. Gemeinsam mit den Teilnehmenden arbeiteten sie heraus, wie vermeintlich kleine Dinge, beispielsweise ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr oder ein Grundanspruch auf Energieversorgung, die Lebensqualität der Menschen steigern können.

Eine andere Beziehung zur Welt

Die Konferenz machte auch deutlich, dass Degrowth mehr ist, als eine Ablehnung ökonomischen Wachstums; vielmehr geht es um eine andere Beziehung zur Welt. Dabei spielt insbesondere das Verhältnis zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden eine große Rolle, da es nach wie vor vom Kolonialismus und ungleichen Strukturen der Macht geprägt ist. Eine selbstkritische Dekolonialisierung der Degrowth Bewegung war demnach Teil der Konferenz.

Zum Beispiel setzte sich ein kurzer Vortrag mit dem Sinn des Lebens aus indigener Perspektive auseinander, ein anderer strich die Relevanz von Utopien für das Streben nach einer lebenswerten Zukunft heraus. Diese Veranstaltungen zeigen, dass Konzepte, die nicht aus dem Westen kommen, oft genau jenen anderen Blickwinkel auf unser wachstumsfokussiertes System bieten, welches vonnöten ist, um sich daraus zu befreien. Und sie zeigen, dass einem Wandel des Systems ein Wandel des Denkens vorrausgehen muss. Die Logik der Effizienz muss von der Logik der Suffizienz abgelöst werden, die Logik des „Immer-Mehr“ von der des „Genug-Sein“. Das erfordert ein radikales Umdenken, da es natürlich eine Veränderung der Lebensumstände bedeutet.

Doch es geht nicht um einen Verzicht: Wir halten etwas für einen Verzicht, weil uns das System vorlebt, dass wir von allem alles brauchen. Wenn wir anfangen, wirklich darüber nachzudenken, was für ein glückliches Leben nötig ist, müssen wir nicht aktiv auf Dinge verzichten. Wir kommen vielleicht nur zu dem Schluss, dass weniger wirklich genug ist.

Degrowth: Sozial-ökologische Wende statt Wachstum
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System Change, not Climate Change!