Dem Themenkomplex Wohnen und Klimaschutz wurde politisch lange Zeit zu wenig Beachtung geschenkt. Die Energiekrise konfrontiert uns nun schmerzhaft mit diesem Versäumnis
Ruth Fartacek argumentiert im Klima in Bewegung Blog, von dem dieser Artikel mit freundlicher Genehmigung übernommen wurde, wieso aus sozialer und ökologischer Sicht die Devise beim Wohnen “Mehr öffentlich, weniger privat” sein muss.
Im Wohnungswesen liegen große Stellschrauben für Klimaschutz. Fast ein Viertel der Energie in Österreich wird von privaten Haushalten verbraucht und kann damit überwiegend dem Bereich Wohnen zugeordnet werden. Das ist fast so hoch wie der Energieverbrauch des gesamten Industrie- und Produktionssektors. Die drastische Senkung der CO2-Emissionen im Gebäudesektor ist deshalb zur Erreichung der klimapolitischen Ziele alternativlos. Als zentrale Maßnahmen dafür gelten für bestehende Gebäude die Umstellung der Heizungssysteme auf erneuerbare Energien und eine Wärmedämmung der Häuser. Diese Maßnahmen konsequent umzusetzen ist jedoch nicht nur eine planerische, sondern auch eine sozialpolitische Herkulesaufgabe. Insbesondere am Mietmarkt gilt es, die Ökologisierung der Wohnungen sozial gerecht zu gestalten, damit es zu keiner Verschärfung der ohnehin schon prekären Situation für Österreichs Mieterinnen und Mieter kommt.
Zufallsgewinne bei der Vermietung
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist in Artikel 25 das Recht auf “angemessenes Wohnen” verankert. Die aktuellen Mieterhöhungen infolge der Inflation erschweren die Bereitstellung von leistbarem und gutem Wohnraum. Bereits die dritte Erhöhung der gesetzlich geregelten Kategoriemieten in diesem Jahr könnte auf viele Haushalte im November zukommen. Für armutsbetroffene Haushalte ist diese Entwicklung fatal. Während über die Abschöpfung von Übergewinnen der Energiekonzerne seit Monaten diskutiert wird, werden die Zufallsgewinne von Vermieterinnen und Vermietern als Begleiterscheinung der allgemeinen Teuerung größtenteils nicht infrage gestellt.
Klimakrise und Wohnungsmarkt als Ungleichheitstreiber
Die Klimakrise droht die Einlösung des Rechts auf angemessenen Wohnraum zusätzlich zu erschweren. Am Wohnungsmarkt wirkt sie als Ungleichheitstreiber, denn armutsgefährdete Menschen wohnen häufiger in Wohnungen, die schlecht isoliert sind, und besitzen ältere und ineffiziente Elektrogeräte. Diese Menschen sind nun von explodierenden Energiepreisen besonders hart getroffen, ohne selbst über die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen entscheiden zu können. Umfassende Sanierungen werden deshalb üblicherweise als wichtiger Hebel in der Bekämpfung von Energiearmut angesehen.
Der Zusammenhang zwischen Energiearmut und Sanierungen ist jedoch ambivalent: Auf der einen Seite ist die Erhöhung der Energieeffizienz von Wohnungen tatsächlich zentral, um Menschen nachhaltig mit genug Energie und Wärme zu versorgen und gleichzeitig klimaschädliche Emissionen zu senken. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass es durch Sanierungen zu weiteren Mieterhöhungen kommt, die nicht durch sinkende Energiekosten ausgeglichen werden können. Das kann zu einer Verdrängung der Bewohnerinnen und Bewohnern in Wohnungen führen, die energetisch in noch schlechterem Zustand sind. Damit thermisch-energetische Sanierungen also auch eine Maßnahme im Sinne der Armutsbekämpfung darstellen, braucht es wirkungsvollen Schutz für Mieterinnen und Mieter. Dieser muss sicherstellen, dass Sanierungen nicht zu einer “energetischen Gentrifizierung” führen. Eine verlässliche Deckelung der Mietkosten im Zusammenhang mit thermisch-energetischen Sanierungen wäre deshalb aus sozialer Sicht wünschenswert.
Gewinnorientierung verhindert sozialökologische Lösungen
Wenn nichtgemeinnützige Vermieterinnen und Vermieter jedoch die Mieten nicht anheben dürfen, fehlt der Anreiz, diese aus ökologischer Sicht notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Dieses sozialökologische Dilemma ist vor allem ein strukturelles Problem des privaten Mietmarkts. Dort hängt die Durchführung umfassender Sanierungen im Sinne des Klimaschutzes vom guten Willen der Eigentümerinnen und Eigentümer ab. Gemeinnützige oder kommunale Wohnungseigentümerinnen und Wohnungseigentümer sind dagegen verpflichtet, Einnahmen durch Mieterträge zu reinvestieren. Das spiegelt sich auch in den Sanierungszahlen wider: Während die allgemeine Sanierungsrate in Österreich bei bedrückenden 1,4 Prozent dümpelt, wurde der Gebäudebestand aus den Baujahren vor 1980, der von gemeinnützigen Bauvereinigungen errichtet wurde, nach Eigenauskunft fast vollständig thermisch saniert.
Energiearmut häufig am privaten Mietmarkt
Noch problematischer erscheint dies unter dem Gesichtspunkt, dass mehr als zwei Drittel der von Energiearmut betroffenen Haushalte in privat vermieteten Wohnungen leben. Das liegt zum einen an der geringen Sanierungsrate in diesem Segment. Zum anderen werden armutsgefährdete Gruppen oftmals auf den privaten Mietmarkt gedrängt, der zwar weniger Schutz vor prekären Mietverhältnissen, aber auch geringere formale Eintrittsbarrieren bietet als das kommunale Segment. Im Altbau am privaten Mietmarkt gibt es zwar klare mietrechtliche Regelungen zur erlaubten Höhe der Miete, diese werden aber systematisch missachtet: Im Schnitt sind die Mieten im Wiener Altbau mehr als doppelt so hoch wie gesetzlich erlaubt!
Solange also mietrechtliche Regelungen zum Schutz der Mieterinnen und Mieter nicht effektiv durchgesetzt werden, fehlen die sozialpolitischen Voraussetzungen für effektiven Klimaschutz im Mietwohnungsbestand. Gleichzeitig haben viele Vermieterinnen und Vermieter auf diese Weise legal und illegal finanzielle Reserven angehäuft, die nun für die nötigen Sanierungen aktiviert werden sollten.
Gefährdete ökologische und soziale Zielsetzungen
Der fehlende Anreiz, die klimapolitisch wie sozial dringend notwendigen Sanierungen durchzuführen, ist nur ein Beispiel für die Tücken eines an Profit orientierten Wohnungsmarkts. Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel lieferte die Arbeiterkammer Wien in einer im Juni veröffentlichten Studie. Darin wird mit dem Mythos aufgeräumt, mehr Wohnbau wäre die alleinige Antwort auf Wohnraummangel. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in Wien deutlich mehr gebaut wird, als rein rechnerisch benötigt wird, um das jährliche Bevölkerungsplus mit Wohnraum zu versorgen. Das Problem: Die neu gebauten Wohnungen dienen vielfach als Wertanlage für Investorinnen und Investoren sowie privilegierte Privatpersonen. Es wird also nicht für die Bedürfnisse wohnungssuchender Menschen gebaut, sondern für den Kapitalmarkt. Auch aus ökologischer Sicht ist es hoch problematisch, wenn Wohnungen gebaut werden, die nicht bewohnt werden. Denn mit dem Bau einher gehen Flächenversiegelung, der Verschleiß von energie- und ressourcenintensiven Baustoffen und durch den Bau induzierter Verkehr.
Während Mieterinnen und Mieter also mit massiven und zum Teil existenzbedrohenden Mietanhebungen und Energiepreisen konfrontiert sind, kaufen diejenigen, die es sich leisten können, Wohnungen auf. Diese stehen dann oftmals leer und erfahren Wertsteigerungen, ohne irgendeinen Nutzen für das Gemeinwohl zu liefern. Ungleichheiten werden dadurch weiter verschärft. Bereits heute besitzen lediglich 30 Prozent der Wiener Bevölkerung 97,6 Prozent des Realvermögens, wozu insbesondere Immobilien zählen. Die Arbeiterkammer fordert deshalb unter anderem Maßnahmen zur Stärkung des Prinzips der Gemeinnützigkeit am Wohnungsmarkt, eine Leerstandserhebung und nachhaltige Kreditvergabestandards.
Raus aus der Profitlogik am Wohnungsmarkt
Fest steht: Eine sozial gerechte Dekarbonisierung des Gebäudesektors wird nicht gelingen, ohne grundsätzliche Mechanismen und Paradigmen der Wohnungspolitik zu hinterfragen. Dafür braucht es eine konsequente Integration von sozialen und klimapolitischen Zielen in Bezug auf den Wohnsektor. Grundlage dafür sollte eine verbindliche Energieraumplanung darstellen, die einen klaren Pfad für thermisch-energetische Sanierungen vorschreibt und sozialpolitische Zielsetzungen berücksichtigt. Ebenso muss die Politik endlich der Forderung einer Mietrechtsreform nachkommen, um neben der Stärkung eines effektiven Schutzes für Mieterinnen und Mieter ökologische Zielsetzungen zu verankern. Neben Sanktionsmechanismen bei Nichteinhaltung der Mietzinsobergrenzen muss dringend gegen die mittlerweile dominante Praxis der Vergabe von befristeten Mietverträgen vorgegangen werden – das erhöht nicht nur die Handlungsmacht der Mieterinnen und Mieter bei rechtswidrigem Verhalten von Vermieterinnen und Vermietern, sondern steigert Studien zufolge auch deren Bereitschaft, Investitionskosten für Sanierungen mitzutragen.
Mietsteigerungen müssen stärker reguliert und eingeschränkt werden, um Mieterinnen und Mieter gerade in Zeiten von explodierenden Lebenserhaltungskosten zu schützen. Auch könnte ein Mietabschlag bei Wohnungen mit Gasheizungen, wie vom Momentum-Institut vorgeschlagen, ein Weg sein, um eine sozialökologische Transformation des Gebäudebestands voranzutreiben. Die wenigsten Vermieterinnen und Vermieter sollte dies existenziell treffen, denn Vermieten ist ohnedies ein Geschäft der obersten Prozent: 70 Prozent der Mieteinnahmen werden von den reichsten 20 Prozent der Bevölkerung eingenommen.
Mehr öffentlicher Wohlstand
In Deutschland erstarkt währenddessen der Ruf nach Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen, auch um Handlungsspielraum für die Bewältigung der Klimakrise zu gewinnen. Die Logik dahinter ist simpel: Die Rendite, die derzeit bei privatwirtschaftlichen Wohnkonzernen für Aktionärinnen und Aktionäre erwirtschaftet werden (müssen), können im Falle einer Überführung in öffentliches Eigentum zur Finanzierung von thermisch-energetischen Maßnahmen verwendet werden.
Auch hier sollten wir uns dieser Debatte stellen und überlegen, welche Schlüsse daraus für den österreichischen Kontext gewonnen werden können. In der Praxis liefert der private Mietmarkt wenig überzeugende Antworten, wie die Klimakrise auf einem angespannten Wohnungsmarkt bekämpft werden kann, ohne Menschen in die Armut zu drängen. Gewinne für einzelne privilegierte Privatpersonen, Wohnungsunternehmen und Investorinnen sowie Investoren werden gesellschaftlichen Zielen wie Klimaschutz übergeordnet. Stattdessen sollte Wohnen stärker ins Zentrum einer gemeinwohlorientierten Politik der garantierten Grundversorgung rücken und entsprechend reguliert werden.
(Ruth Fartacek, 19.10.2022)