Erneut tagt heute der R20 Austrian World Summit in der Hofburg. Vor einem Jahr unterbrachen Aktivist*innen der Gruppe „System Change, not Climate Change!“ die Eröffnungsrede von Bundeskanzler Kurz – ein Jahr später rechnen sie mit den ‚türkisen Lügen’ der schwarz-blauen Klimapolitik ab.

Mit heftig klopfenden Herzen erhoben wir uns vor einem Jahr beim Austrian World Summit von unseren Plätzen, weil wir nicht zuzulassen konnten, dass sich mit Sebastian Kurz der Verantwortliche einer katastrophalen Klimapolitik ‚grünwaschen’ darf. Noch bevor die Sicherheitskräfte sich in Bewegung setzen konnten, war unser Banner aufgespannt, ich stand neben dem (nun Ex-)Bundeskanzler am Podium und hörte meine eigene Stimme durch den Saal der Hofburg ertönen: „Herr Bundeskanzler, wenn Sie diese Politik weiter verfolgen, bleiben auch die schönsten Worte nicht mehr als grüne Lügen.“ Heute erhebt sich eine andere Stimme in der Hofburg, jene Greta Thunbergs, die in den letzten Monaten zum Sprachrohr einer rasant wachsenden weltweiten Bewegung geworden ist.

Bei einem muss ich dem vorhin Gesagten Recht geben,“ gab Sebastian Kurz nach unserer Eröffnungsrede zu, „es geht nicht nur darum, was gesagt wird, sondern es geht vor allem darum, was getan wird.“ Im Anbetracht der Taten, an denen er gemessen werden will, entpuppen sich Kurz’ Versprechungen nach eineinhalb Jahren Regierungszeit als türkise Lügen.

Rückschrittliche Verkehrspolitik in Beton gegossen

Bereits vor einem Jahr kritisierten wir die katastrophale schwarz-blaue Klimapolitik – an der Milliardenförderung für fossile Energien, den drastischen Kürzungen im Umweltbudget und der desaströsen Klima- und Energiestrategie hat sich bis heute nichts geändert. Im Eiltempo verabschiedete die nun zerbrochene Regierung weitere Maßnahmen, die allesamt an den Klimazielen vorbei- und auf eine Beschleunigung der Klimakrise zusteuern. Das „Standortentwicklungsgesetz“ soll große Bau- und Infrastrukturvorhaben, die nicht binnen einen Jahres zu- oder abgewiesen wurden, automatisch genehmigen, und klima- und umweltschädliche Monsterprojekte damit einfach durchwinken. Mit der Einschränkung des Mitspracherechts von NGOs in der Umweltverträglichkeitsprüfung nahmen sie einen gezielten Angriff auf die zivilgesellschaftliche Beteiligung im Klimaschutz vor. „Der Kampf gegen den Klimawandel (…) sollte uns alle beschäftigen“, sagte er und versuchte gleichzeitig, Klimaschützer*innen mundtot zu machen.

Weiterhin setzt er sich mit voller Kraft für die klimaschädlichsten Monsterprojekte Österreichs wie die dritte Piste am Flughafen Wien und den zerstörerischen Lobautunnel ein. Der fossile Verkehr, Österreichs Klimakiller Nummer Eins, droht somit für weitere Jahrzehnte einbetoniert zu werden.

Scheidepunkt in der Geschichte

Nach einem Jahr haben sich nicht nur die Versprechen des Ex-Bundeskanzlers als leere Worte entpuppt. Nein, mit Tempo 140 rasen wir nun sogar noch schneller in die Klimakatastrophe! Was es bräuchte, um dieser zu entkommen, darauf macht heute auf dem Austrian World Summit Greta Thunberg aufmerksam. Heute ist sie es, die den Anwesenden ihre Verantwortung vor Augen führen wird.

Wir, die wir letztes Jahr in der Hofburg aufstanden, werden wieder aufstehen, diesmal auf den Straßen. Am Freitag werden wir uns einer der vielfältigen Aktionen am Aktionstag für Klimagerechtigkeit anschließen und gemeinsam mit vielen anderen Aktivist*innen aus Wien und ganz Europa zeigen, dass die Klimakrise hier in unserer Stadt, in Wien, gestoppt werden muss. Von der „Expert*innenregierung“, welche bis zur Wahl mit der Staatsführung betraut wird, fordern wir, ihrer Expert*innenrolle gerecht zu werden und dem Parlament Gesetzesentwürfe vorzulegen, die – auf wissenschaftlichen Fakten beruhend – einen Wandel einleiten, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Nicht bei Entwicklungsprojekten im globalen Süden, die auf dem Klimagipfel diskutiert werden, müssen wir beginnen, sondern indem wir die Dritte Piste und den Lobautunnel stoppen, indem wir eine andere Landwirtschaft aufbauen, indem wir unsere Innenstädte von den Autos befreien. Das ist nicht nur notwendig für das Klima, sondern auch für unsere Gesundheit, und schafft Raum für uns Menschen.

Die Krise, in die uns ein auf Wachstumszwang basierendes Wirtschaftssystem gebracht hat, kann nicht durch noch mehr Wachstum behoben werden. Statt dieses in der Verfassung festzuschreiben, wie Kurz’ Regierung es versuchte, müssen wir die Klimakrise als Weckruf hören. Wir stehen an einem Scheidepunkt in der Geschichte, so Greta Thunberg. An diesem müssen wir uns fragen, ob wir weiterhin zulassen wollen, dass unsere Lebensgrundlagen für Billigflüge nach Ibiza, SUVs und vor allem horrende Profite zerstört werden, oder ob wir einen anderen Weg einschlagen wollen – einen Weg, in dem unsere Städte uns, und nicht den Autos gehören. Einen Weg, in dem wir selbst diejenigen sind, die entscheiden, was wachsen soll und was nicht. Dieses Jahr gibt es in der Woche des Austrian World Summit Klima-Protestaktionen von vielfältigen Gruppen, darunter neben System Change, not Climate Change!, Ende Gelände, Fridays for Future und Extinction Rebellion auch viele Kinder und #FarmersForFuture. Die Proteste nehmen immer mehr an Fahrt auf und sind unaufhaltsam. Wir geben nicht auf, für eine klimagerechte Welt zu kämpfen – bis verantwortungslose und machtgierige Politiker*innen nicht länger die Pressefreiheit an vermeintliche Oligarchinnen, noch die Zukunft unseres Planeten an Konzerne verkaufen. Und wenn wir das in den nächsten Monaten nicht erreicht haben, werden wir auch 2020 wieder dafür sorgen, dass Klimagipfel nicht zum Reinwaschen tagtäglich begangener Klimasünden missbraucht werden.

Austrian World Summit 2019: Offener Brief von Lucia Steinwender
System Change, not Climate Change!