Triumph der Wachstums- und Technologieoptimist_innen.
Ein Artikel von Sybille Bauriedl über den (Miss-)Erfolg der vergangenen UN-Klimaverhandlungen im Dezember 2015 in Paris.
Die Autorin ist am 19.01.2016 in der Veranstaltungsreihe “Klimapolitik in der Sackgasse?!” zu Gast und wird zum Thema “Kochen für den Klimaschutz? Wie Klimapolitik Geschlechter- und Machtverhältnisse manifestiert” sprechen.
Der wichtigste Erfolg von UN-Vereinbarungen ist der erzielte Kompromiss an sich, nicht unbedingt das erzielte Ergebnis. Nach diesem Bewertungskriterium war Paris ein Erfolg. Je größer ein UN-Veranstaltung ist (in Paris waren 36.000 Teilnehmer_innen, davon 150 Staatsführer_innen, 23.100 Regierungsvertreter_innen, 9.400 Delegierte von UN-Institutionen und anerkannten NGOs und 3.700 Medienvertrtet_innen dabei), desto größer ist der Druck, eine Vereinbarung verabschieden zu wollen, die zumindest in einzelnen Punkten weitreichender ist als der letzte Kompromiss. Das wurde beim Klimagipfel, der vom 29.11. bis 13.12.2015 in Paris stattfand, erreicht – mehr aber auch nicht. Legt man den Bewertungsmaßstab einer globalen Klimagerechtigkeit an oder sucht man nach konkreten Maßnahmen für eine schnelle Bewältigung der Klimakrise, fällt das Urteil über den Klimagipfel negativ aus. Dennoch dominieren die positiven Einschätzungen des Gipfelergebnisses.
Die Verhandlungsführer_innen in Paris beglückwünschen sich selbst nach der Verabschiedung des Abkommens: “Heute wurde die schönste und friedlichste Revolution erreicht – eine Revolution für Klimawandel” (Frankreichs Präsident François Hollande). “Was einst undenkbar schien, ist jetzt nicht mehr aufzuhalten. Die Geschichte wird sich dieses Tages erinnern” (UN-Generalsekretär Ban Ki Moon). „Paris wird auf immer mit diesem historischen Wendepunkt in der globalen Klimapolitik verbunden sein” (Bundeskanzlerin Angela Merkel). “Das ist ein Sieg für alle auf dem Planeten und für künftige Generationen” (US-Außenminister John Kerry) (alle Zitate aus dem ARD-Blog zum Klimagipfel vom 12.12.2015).
Die Koalition der sogenannten „Ambitionierten“, angeführt von der EU, hat sich in Paris durchgesetzt. Sie feiern sich selbst dafür, dass ganz unerwartet alle Parteien damit einverstanden sind sich anzustrengen, die dramatische globale Erwärmung von 2 Grad zu unterschreiten. Eine konkrete Verpflichtung ist das erstmal nicht, aber ein Versprechen für die Zukunft. Im Paris Agreement heißt es in der Präambel: „pre‐2020 ambition can lay a solid foundation for enhanced post‐2020 ambition“.
Irgendwann gegebenenfalls unter zwei Grad
Das Abkommen von Paris lässt keine Eile bei der Bearbeitung fundamentaler Probleme mit den Folgen des Klimawandels erkennen, auch wenn alle Regierungsführer_innen zu Beginn des Gipfels gemahnt haben, dass die Klimakrise dramatische Formen angenommen hat und schnellen Handeln dringend notwendig sei. Ein Blick auf die im Vorfeld des Gipfels von den Vertragsstaaten vorgelegten „beabsichtigten national ermittelten Beiträge“ (INDCs) zur Treibhausgasemission zeigt sehr deutlich, dass zum einen die Nationalregierungen die gerade noch formulierten Sorgen nicht ernst nehmen und zum anderen die Idee einer globalen Gemeinschaft nicht funktioniert: es sollen sich doch bitte die anderen mehr anstrengen. „Our common future“, der mantraartig vorgetragene Slogan der UN-Umweltpolitik seit 1972, gilt offensichtlich nicht für alle gemeinsam. Falls die INDCs wie angekündigt umgesetzt werden, lassen die aggregierten Werte eine globale Erwärmung zwischen 2.7°C bis 3.7°C erwarten (Steffen Kallbekken, Direktor des Centre for International Climate and Energy Policy im Interview mit New Internalionalist Magazine).
Außerdem zeigte sich für einen Teil der globalen Emissionen keiner der UN-Staaten in Paris verantwortlich. Emissionen, die durch Schiffs- und Flugverkehr entstehen, sind in den beabsichtigten nationalen Reduktionszielen nicht enthalten und diese machen allein das Emissionsvolumen von Großbritannien plus Deutschland aus.
Die Verhandlungsführer_innen können also vor allem ihr diplomatisches Geschick und ihre überzeugende Rhetorik feiern. Mit dem Angebot die 2 Grad-Erwärmung unterschreiten zu wollen, haben sich die EU-Vertreter_innen, allen voran die deutsche Umweltministerin, die Unterstützung der Entwicklungsländer gesichert. Im Gegenzug wurde die von ihnen erwartet, auf die Forderung nach finanzieller Kompensation für vergangene, aktuelle und zukünftige Verluste und Schäden durch Klimawandelfolgen zu verzichten.
Wie das Versprechen „2 Grad minus x“ erreicht werden soll, ist noch völlig offen. Die Mittel zum Zweck wurden in Paris weder priorisiert noch kritisiert. Alle Strategien werden weiterhin parallel verfolgt werden: Energieeffizienz, Substitution fossiler Energien durch erneuerbare Energien, Atomkraft, Nutzung fossiler Energien mit Abscheidung und unterirdischen Einlagerung der Kohlenstoffemissionen (Carbon Capture Storage), großflächige Aufforstung zur Schaffung von Kohlenstoffsenken.
Kritik an Kyoto-Instrumenten bleibt aus
Flexibilität ist der Kern der Pariser Vereinbarung. Jedes Land darf seine selbst gesteckten Ziele mit den selbst favorisierten Maßnahmen verfolgen: „Jedes Land muss den Klimawandel im Rahmen seiner Möglichkeiten bekämpfen.“ (Umweltministerin Barbara Hendricks). Das Ausmaß der öffentlichen Förderung von technologischen Innovationen werden genauso wenig erwähnt wie das Versagen der bisher bevorzugten Klimaschutzinstrumente. Die dokumentierten negativen sozialen Effekte durch UN-Instrumente wie CDM und REDD+ sowie die Umweltrisiken durch carbon capture and storage-Technologien (Kohlenstoffabscheidung und Einlagerung) standen in Paris nicht zur Diskussion. Im Entwurf der verhandlungsrelevanten Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action (ADP), der in der ersten Gipfelwoche ausgehandelt wurde, war das strittige Thema REDD+ und Menschenrechte noch in Klammern enthalten.
Auch die Rechte von Indigenen und Geschlechterungleichheit, standen in der ersten Verhandlungswoche noch zur Diskussion. Im Agreement tauchen diese Aspekte von Klimagerechtigkeit in der Präambel auf, aber ohne Bezug zu konkreten Instrumenten oder die Sanktionierung einer Verletzung dieser Rechte: „Parties should, when taking action to address climate change, respect, promote and consider their respective obligations on human rights, the right to health, the rights of indigenous peoples, local communities, migrants, children, persons with disabilities and people in vulnerable situations and the right to development, as well as gender equality, empowerment of women and intergenerational equity.“
Zunehmende Konflikte bei der Nutzung von Wäldern und Agrarflächen für Klimaschutzmaßnahmen, die bisher der Ernährungssicherung dienten, sind jedoch absehbar. Die stark emitierenden Industrieländer werden weiter die Strategie einer massiven Aufforstung im Globalen Süden favorisieren, um Kohlenstoffsenken für die hohen Emissionen des Globalen Nordens zu schaffen und auch den großflächigen Anbau von Agrartreibstoffen fördern. Alternativen jenseits dieser postkolonialen Strukturen oder der Nutzung von Hochrisikotechnologien (Atomenergie und Carbon-Capture and Storage) wurden bei den Pariser Verhandlungen nicht thematisiert (vgl. Interview mit Reimund Schwarze vom 16.12.2015 auf Klimaretter.info).
Die Kritik an klimawandelverursachenden Wachstums- und Wirtschaftsmodellen wurde allein bei Veranstaltungen der sozialen Bewegungen unter dem Motto „System Change – not Climate Change“ geführt. NGOs, die Klimagerechtigkeit einfordern, hatten während des Pariser Gipfels bei jeder Gelegenheit – die nicht sofort mit Einsatz von Sicherheitspersonal unterbunden wurde – vorgeschlagen, mindestens 80% der bekannten fossilen Lagerstätten unberührt zu lassen und keine neuen mehr zu suchen, sowie die Abholzung tropischen Regenwaldes für Palmölanbau und Fleischproduktion sofort zu stoppen. Im Agreement fand dieser Vorschlag keinen Eingang. Das Wort „fossil fuel“ kommt in der Pariser Vereinbarung genauso wenig vor wie „coal“, „oil“, „gas“ oder „agrofuel“.
Jeder nach seinen Möglichkeiten
Das Abkommen möglich gemacht hat auch die Langfristigkeit der Umsetzung von formulierten Zielen. Anders als noch in Kopenhagen lassen sich jetzt auch die weltgrößten Klimasünder China und USA auf Reduktionsziele ein, solange sie sich nicht vertraglich verpflichten müssen. Auch diese Staaten haben erkannt, dass sich Investitionen in Energie aus Sonne, Wind und Wasser langfristig rechnen. Verpflichtungen sollen erst in 35 Jahren greifen. Der jetzige Beschluss zielt auf eine Dekarbonisierung in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Die verbleibende Emission von Treibhausgasen sollen ab 2050 kompensiert werden. Dieses Ziel wird „Klimaneutralität“ oder „Nettonullemission“ genannt: Die Idee, Treibhausgasemissionen mit dem Ausbau von Kohlenstoffsenken zu verrechnen kennen wir seit dem Kyoto-Protokoll. Dieses Bilanzierungsdenken wird mit dem Pariser Abkommen fortgesetzt. Die sogenannte Klimaneutralität soll dadurch erreicht werden, dass mehr Bäume gepflanzt und Moore rekultiviert werden, die Kohlenstoff binden. Damit lassen sich Treibhausgase, die durch die Verbrennung fossiler Energieträger oder den Methanausstoß in der Landwirtschaft entstehen, auf Null rechnen. Diese Methode übersetzt die deutsche Bundesumweltministerin im Interview mit den „Tagesthemen“ am Ende des Gipfels als „Dekarbonisierungsstrategie“. Der Begriff selbst kommt in der Pariser Vereinbarung nicht vor. Im Entwurf war “decarbonization”, genauso wie “carbon neutrality“ noch enthalten. Gegen beide haben sich vor allem Saudi-Arabien, Pakistan und Polen gestellt. Sie fürchten eine Reglementierung ihrer Erdöl- und Kohleexporte. Gerade noch das Kürzel DDPP (Deep Decarbonisation Pathway Project) hat es in das Schlusspapier geschafft. Dekarbonisierung soll offensichtlich ein Fernziel bleiben, das den Erdölexporteuren nicht weh tut – bis die fossilen Energieträger in den meisten Staaten sowieso erschöpft oder nicht mehr rentabel zu nutzen sind. Dekarbonisierung wird damit zur win-win-Option: fossile Energieträger werden bis zur Rentabilitätsgrenze genutzt und parallel die Energieproduktion mit Erneuerbaren über Subventionen ausgebaut. Der Erfolg des Abkommens wurde von langjährigen Protagonist_innen der Klimadebatte ganz selbstverständlich nach Kriterien einer ökonomischen Logik bemessen: „The Agreement creates enormous opportunities as countries begin to accelerate along the path towards low-carbon economic development and growth” (Nicholas Stern am 12.12.2015).
Das Desaster von Kopenhagen wird zum Erfolg von Paris umgedeutet
Die Freiwilligkeit der Maßnahmen ist der wesentliche Unterschied zwischen den Klimagipfeln von 2009 und 2015. In Paris wurden im Grunde die Vorschläge, die in Kopenhagen entworfen worden sind, als bottom-up Strategie neu formuliert und formalisiert. Das Abkommen verabschiedet sind von gemeinsamen, einklagbaren Zielen und setzt auf das freiwillige Engagement der Vertragsparteien. Die meisten Elemente des Pariser Abkommens finden sich auch in der Version von Kopenhagen: Das Versprechen 100 Mrd. $ jährlich aus staatlichen und privaten Quellen für die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern zu mobilisieren; die Globale Erwärmung unter 2 Grad zu halten; die national unterschiedlichen Reduktionsziele; der nicht-bindende Charakter der Reduktionsbeiträge sowie die Idee, durch Transparenz mehr Verbindlichkeit und Effektivität zu erzielen als durch formalen Zwang. Ebenso wurde die Ausweiterung von Reduktionsbeiträgen auf Schwellen- und Entwicklungsländer schon in Kopenhagen diskutiert.
Paris hat gezeigt, dass UN-Klimagipfel immer noch nicht der geeignete Ort sind, um den eingeschlagenen Weg zu einer klimagerechten Entwicklung zu revidieren. Es wird ganz offensichtlich ein markt- und technologieoptimistisches Wachstumsmodell bevorzugt, auch wenn dieses als Ursache der Klimakrise und vielfacher sozialer Krisen betrachtet werden müsste. Die politischen Debatten für eine Entwicklung jenseits dieses klimaschädlichen Wachstumsparadigmas müssen an anderen Orten und mit anderen Protagonist_innen geführt werden.
Nachzulesen auf dem Blog zur Klimadebatte