16.11.16
Nur umweltverträgliche Mobilität ist sozial fair
Der Zugang zu Mobilität ist eine Grundvoraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen und sozialen Leben. Der gleichberechtigte Zugang zu Mobilität ist in unserer Gesellschaft nicht gegeben und wurde durch die Massenmotorisierung erschwert. Zersiedelung und Einkaufszentren auf der grünen Wiese wurden erst durch die Massenmotorisierung möglich. Die Folgen: Die Nahversorgung ist aus vielen Orten verschwunden, Ortskerne sterben aus, die Entfernungen zum Arbeitsplatz haben deutlich zugenommen. Gestiegen ist damit nicht die Mobilität, sondern der Verkehrsaufwand, um die täglichen Ziele erreichen zu können.
Der Autoverkehr wird aber heute nach wie vor gefördert und damit soziale Ungleichheit verstärkt: etwa durch den weiteren Ausbau von Straßen, durch eine autogerechte Ortsgestaltung oder durch die Verpflichtung zum Garagenbau bei neuen Wohngebäuden.
Soziale Gerechtigkeit im Verkehr bedeutet gerade nicht, das Autofahren für alle möglichst billig zu machen. Denn es sind gerade die relativ wohlhabenden Haushalte, die mehr Pkw besitzen, mehr mit dem Auto fahren und daher die Umwelt entsprechend mehr belasten. Die negativen Folgen des Verkehrs für Gesundheit und Lebensqualität wie Luftverschmutzung, Lärm oder Bewegungseinschränkungen für Kinder, Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende, haben insbesondere Personen mit geringen Einkommen zu tragen. Sie leben häufig dort, wo andere aufgrund des Autoverkehrs nicht wohnen möchten, und verfügen über eine geringere Freiheit in der Verkehrsmittelwahl.
Wer Verkehrsleistungen nicht ausreichend zur Verfügung hat, wird von bestimmten Bereichen ausgeschlossen. Ist für Arbeitsuchende etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund mangelnder oder nicht leistbarer Mobilitätsangebote stark eingeschränkt, führt dies zu einer weiteren Verarmung, sowohl finanziell, als auch sozial und kulturell. Gegen diese „Mobilitätsarmut“ sind als Teil der Daseinsvorsorge Angebote sicherzustellen, die es unabhängig von Einkommen, Gesundheit oder persönlichen Einschränkungen ermöglichen, selbständig und sicher mobil sein zu können.
Gesundheit und Lebensqualität sind eine Frage des Einkommens
Demografischer Wandel, wachsende Ballungsräume, gesteigertes Umweltbewusstsein und die Auswirkungen des Klimawandels verlangen nach einer Aufwertung der Straßen und Ortszentren als Lebensraum mit hoher Aufenthaltsqualität. Für die selbständige Mobilität von Kindern und Jugendlichen sind sichere Radverbindungen, verkehrsberuhigte Straßen mit niedrigen Tempolimits und ein gutes Netz an öffentlichen Verkehrsverbindungen zu schaffen.
An stark befahrenen Straßen wohnen vor allem Personen mit geringerem Einkommen. Sie sind besonders den Abgasen und Lärm des Verkehrs ausgesetzt. Auch in Österreich verursachen die Abgase des Verkehrs (vor allem Stickoxide und Feinstaub) zu Lungenschäden, Herz-Kreislauferkrankungen bis hin zu tausenden vorzeitigen Todesfällen. Von den Auswirkungen von Feinstaub und Ultra-Feinstaub sowie von Stickstoffdioxid sind ältere Menschen und auch Kinder besonders stark betroffen.
Verkehrslärm macht krank
Eine dauerhafte, erhöhte Belastung durch Verkehrslärm kann zu Schlaganfällen und vorzeitigem Tod führen, pfeifende Dauertöne in den Ohren auslösen und die Gehörnerven verändern. Neben körperlichen Krankheiten kann Verkehrslärm auch die psychische Gesundheit angreifen und depressive Symptome auslösen. Wer an Straßen mit einem durchschnittlichen Lärmpegel von über 65 bis 70 Dezibel wohnt, hat ein um 20 Prozent höheres Risiko für Herzerkrankungen. Der Anteil der Personen, die sich durch Verkehrslärm gestört fühlen, ist in Gebieten mit hohem Urbanisierungsgrad mit rund 55 Prozent geringer als in Gegenden mit mittlerer oder niedriger Bevölkerungsdichte (je rund 70 Prozent). Das ist unter anderem auf die häufig mehrgeschoßige Bebauung entlang stark befahrener Straßen zurückzuführen. Die dahinter liegenden Gebäude werden dagegen abgeschirmt. Lärmkarten hinsichtlich der Lärmbelastung zeigen allerdings große Unterschiede bei der Belastung innerhalb der Städte.
Jede Maßnahme, die Anzahl und Geschwindigkeit von Kfz verringert, wie Begegnungszonen, sektorale Fahrverbote, City-Maut oder Parkraumbewirtschaftung, reduziert auch Verkehrslärm.
Das Problem des Verkehrslärms werden leider auch E-Autos nicht lösen, da diese nur bei Geschwindigkeiten unter 30 Stundenkilometer leiser als konventionell angetriebene Fahrzeuge sind. Darüber dominiert bei jedem Pkw das Reifen-Abrollgeräusch.
Selbständige und sichere Mobilität für ältere Menschen
Während im ersten Halbjahr 2016 die Zahl der Verkehrstoten in Österreich um elf Prozent zurückgegangen ist, ist die Zahl der tödlich verunglückten Seniorinnen und Senioren gestiegen. 60 Prozent der tödlich verunglückten Fußgängerinnen und Fußgänger war 65 Jahre oder älter, bei den mit dem Fahrrad tödlich verunglückten betrug der Anteil der Senioren 66 Prozent, wie eine VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der Statistik Austria zeigt.
Ältere Menschen erledigen viele Alltagswege mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Doch 56 Prozent der älteren Menschen in kleinen Orten Österreichs fehlt es in fußläufiger Distanz an Geschäften. Auch Ärzte und Apotheken sind in kleineren Gemeinden Österreichs für eine Mehrheit von älteren Menschen nicht zu Fuß erreichbar.
Im Jahr 2025 werden laut Bevölkerungsprognose der Statistik Austria rund 1,35 Millionen Menschen Österreich 70 Jahre oder älter sein. Das Verkehrssystem ist in vielen Bereichen nicht seniorengerecht. Mobilitätsarmut, der Mangel an Mobilitätsoptionen, geht für ältere Menschen weit über das Problem, Alltagsziele nicht erreichen zu können, hinaus. Für sie ist selbständige Mobilität ein Schlüssel zur Teilhabe am sozialen Leben und wichtig für das subjektive Wohlbefinden und die Gesundheit. Das Fehlen adäquater Mobilitätsoptionen führt zu mangelnden sozialen Kontakten und zur Vereinsamung. Vier von fünf Menschen unter 75 verlassen täglich ihre Wohnung, mehr als 60 Prozent sind es bei den 75- bis 84-Jährigen und bei den über 85-Jährigen nur mehr etwas mehr als die Hälfte. Personen, die sozial isoliert leben, haben nachweislich einen schlechteren Gesundheitszustand als Menschen, die aktiv am Sozialleben teilnehmen.
In Österreichs Städten gibt es vor allem für ältere Menschen beim zu Fuß gehen häufig Hindernisse. Straßen wirken als Barrieren und brauchen Querungshilfen und breite Gehbereiche. Begegnungszonen und niedrigere Geschwindigkeiten sowie kürzere Rotphasen bei Fußgängerampeln sind ebenso von Bedeutung für die Mobilität älterer Menschen in Städten wie mehr Sitzgelegenheiten oder schattige Zonen zum Verweilen. Tempo 30 im Stadtgebiet reduziert die Hektik des Verkehrs und erhöht die Sicherheit aller. Parkplätze am Straßenrand verringern die mögliche Breite von Gehwegen. Zudem sind parkende Autos beim Überqueren der Straßen ein Hindernis vor allem für Personen mit Rollator oder Kinderwagen. Umfragen zeigen, dass ältere Menschen besonders unter der hohen Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs leiden. Auch Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr führt dazu, dass ältere Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt werden.
In den Regionen mehr öffentliche Verkehrsangebote schaffen
Öffentlicher Verkehr sichert allen Menschen den gleichen Zugang zu Mobilität, unabhängig von Alter, Einkommen oder Geschlecht. Zuschüsse oder Transferzahlungen wie etwa die Freifahrt in die Schule oder vergünstigte Tickets für Menschen mit niedrigen Einkommen, vermindern soziale Ungleichheiten. Die Autonutzung und somit die externen Effekte steigen überproportional mit dem Einkommen an. Das heißt, wenn Autofahren gefördert wird, werden die Wohlhabenden überproportional gefördert.
Armut verhindert aufgrund benachteiligter Lagen und geringerer Ressourcen in steigendem Maße den gleichberechtigten Zugang zur Mobilität. In Gebieten, die schlecht mit Öffentlichem Verkehr versorgt sind, werden immobile Haushalte immer stärker „abgehängt“. Das bedeutet, dass für die einkommensschwachen Haushalte die Chancengleichheit nicht nur nicht gewährt wird, sie werden zusätzlich benachteiligt.
Gerade im ländlichen Raum ergeben sich aufgrund von Zersiedelung, fehlender Nahversorgung und mangelnden Arbeitsplätzen in der Region längere Distanzen. Zudem ist die Abhängigkeit vom Auto umso höher, je geringer die Siedlungsdichte ist. Dort, wo die Siedlungsdichte hoch ist, fahren rund 27 Prozent täglich mit dem Auto, bei niedriger Siedlungsdichte sind es mit 45 Prozent um zwei Drittel mehr. Eine starke Abhängigkeit vom Auto bedeutet hohe Kosten für die Haushalte. Das Auto ist im Vergleich zum Öffentlichen Verkehr und Radfahren um ein Vielfaches teurer. In den Bundesländern mit vielen dünn besiedelten Regionen besitzen viele Haushalte mehr als ein Auto. Zweitwagen belasten die Haushaltsbudgets besonders.
Gleichzeitig haben sich die beruflichen Anforderungen und Beschäftigungsstrukturen stark gewandelt. Eine Folge der Arbeitszeit-Flexibilisierung ist die Zunahme von atypischen Beschäftigungsformen wie das Arbeiten zu Tagesrandzeiten oder an Wochenenden. Weiters nimmt die Zahl der Teilzeitbeschäftigten deutlich zu. Sowohl bei Teilzeitbeschäftigung, als auch bei einer Zersplitterung der Arbeitszeit sind Fahrdauer und Fahrkosten überproportional hoch. Bei sehr niedrigen Einkommen können bis zu 20 Prozent an Kosten für den Arbeitsweg anfallen.
Die Abhängigkeit vom Auto macht arm. Die Lösung liegt nicht in Förderungen für das Autofahren, sondern in der Schaffung von leistbaren Mobilitätsangeboten, die unabhängig vom Alter allen Menschen zugänglich sind. Deshalb braucht es neben einem dichten Netz an öffentlichen Linienverkehren ergänzend Anrufsammeltaxis beziehungsweise Gemeindebusse in dünn besiedelten Regionen.
Quellen:
VCÖ-Schriftenreihe „Mobilität mit Zukunft“:
Ausgabe 1/2009: Soziale Aspekte von Mobilität
Ausgabe 4/2015: Gesellschaftliche Entwicklungen verändern die Mobilität
Ausgabe 1/2016: Urbaner Verkehr der Zukunft
Ausgabe 3/2016: Nachhaltige Mobilität für Regionale Zentren
Ausgabe 2/2013: Zukunft der Mobilität in der Region
VCÖ-Factsheet 2/2015: Selbstbestimmte Mobilität älterer Menschen fördern
VCÖ-Factsheet 13/2015: Mobilität älterer Menschen ändert sich
VCÖ-Factsheet 13/2014: Was in Städten für die Mobilität älterer Menschen wichtig ist
Bevölkerungsprognose und Motorisierungsgrad: Statistik Austria
Von Ulla Rasmussen, VCÖ. Ursprünglich erschienen in einer Veranstaltungszusammenfassung des Öko-Büros: http://www.oekobuero.at/va-umweltgerechtigkeit