26.April 2016

Ein Erfahrungsbericht von der ‘Wachstum im Wandel’ Konferenz

Anmutig geschwungene Linien, schiefe Treppenhäuser, ein strahlend weißer Canyon. Eine kleine Gruppe von Menschen, die sich angeregt unterhält, flaniert am Buffet vorbei. Heute gibt es Rote-Rüben-Carpaccio mit gerösteten Mehlwürmern. Eine Szene aus einem Science-Fiction-Film? Nein, wir befinden uns in Wien – im neuen „Library and Learning Center“ der Wirtschaftsuni am Prater. Und genauso futuristisch wie das Gebäude, das von Zaha Hadids Büro geplant wurde, dürften manchen Studierenden und Lehrenden an diesem Ort wohl auch einige der Themen und Redner_innen angemutet haben, die während der dritten „Wachstum im Wandel“-Konferenz , vom 22.-24. Februar, präsentiert wurden. Dank einer Kooperation mit der ÖH BOKU konnten fünf Studierende an diesem beeindruckenden Event kostenlos teilnehmen.

Die Vortragenden kamen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Zentrale Themen, die angesprochen wurden waren u.a.: Medien, Partizipation, Szenarien vs. Visionen, Preis vs. Wert und natürlich Wachstum.

Montag mittags eröffneten unter anderem Sigrid Stagl, Leiterin des Institute of Ecological Economics, und Andrä Rupprechter, Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, den Kongress. Jeder Tag begann mit Keynotes von internationalen Redner_innen, danach konnten sich die Teilnehmer_innen an den beiden ersten Tagen zwischen unterschiedlichen „Parallel-Sessions“ entscheiden, den Abschluss eines jeden Tages bildete jeweils eine Podiumsdiskussion. Die Auswahl zwischen den vielfältigen Angeboten zu Wachstum, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit fiel nicht leicht. Besonders eindrucksvoll waren die Sessions zu sozialer Gerechtigkeit und Partizipation, darunter eine mit dem Titel „Ungleichheit, Demokratie, Partizipation“ mit Shalini Randeria, einer Sozialanthropologin aus Genf und Michael Hartmann, einem Soziologen aus Deutschland. Letzterer wies auf die wachsende Ungleichheit in westlichen Gesellschaften hin und zeigte als Beispiel auf, dass auf den britischen Inseln im 17. Jahrhundert das reichste Promille der Gesellschaft 1,9% des Gesamteinkommens besaß, während es heute auf 5,6 % angestiegen ist.

Klar ist, dass global betrachtet einkommensstarke Gruppen einen besonders umweltschädlichen Lebensstil mit Flugreisen, Automobilität und hohem Fleischkonsum pflegen. Klar ist auch, dass sie diejenigen sind, die am wenigsten unter den Auswirkungen der Umweltzerstörung leiden. Was also tun? Ein Ansatz könnte, Hartmann zufolge, eine stärkere Besteuerung von hohen Einkommen sein, wobei die Einnahmen dann in Umweltschutz-Maßnahmen investiert werden könnten. Ein anderer Ansatz, der von Beate Littig vom Institut für Höhere Studien in der Session „Jenseits von Wachstum und Post-Wachstum“ vorgestellt wurde, sieht eine Umverteilung der Arbeitszeit sowie eine verstärkte finanzielle Förderung von Care-Tätigkeiten – einem Arbeitsbereich, der wenig ressourcenintensiv und im Moment chronisch unterfinanziert ist – vor.

Zum Hauptthema der Konferenz herrschte bei den Redner_innen, bis auf Karl Schneider von der WKO („Ungebremstes Wirtschaftswachstum ist theoretisch möglich“), überwiegend Einigkeit in der Analyse des Problems. Denn: Dass die biophysischen Grenzen unseres Planeten längst erreicht sind, die Wachstumsraten „nachhaltig“ fallen, wir daher viel stärker auf die Frage der Umverteilung und damit auch auf soziale Spannungen gestoßen werden, würde wohl kaum einer bezweifeln. Dass wir demnach eine andere Wirtschaft, die dem Wachstumsimperativ eine Absage erteilt, brauchen, schien überraschenderweise sogar auf einer Konferenz, die an einer Wirtschaftsuni stattfindet, Konsens zu sein. Ob und wie die Wirtschaft dann noch wachsen soll, darüber schien deutlich mehr Uneinigkeit zu herrschen. Je nach Sicht der Vortragenden braucht es mehr Daten oder endlich einmal eine Umsetzung der schon gegebenen Antworten.

Der Ausstieg aus den Fossilen als “Gamechanger” war hier ein für uns sehr überzeugender Vorschlag. Dabei sollte allerdings eine Rhetorik des Verzichtes vermieden und stattdessen in die Schaffung einer Nachhaltigkeits-stiftenden sozialen Infrastruktur investiert werden. Viele forderten eine konsequentere Politik mit beständigen Rahmenbedingungen für Unternehmen. Andere wiederum wünschten sich eine ganzheitlichere Sicht der Dinge statt punktueller Innovationen. Zu diesem Punkt hatte der Neurobiologe Gerald Hüther einen interessanten Vorschlag. Er zeichnete eine Zukunft der Co-Kreativität, die den Konkurrenzdruck ersetzen solle, da letzterer erst zu zwanghaftem Wirtschaftswachstum führe. Er argumentierte, dass, wenn die unmittelbaren (Beziehungs-)Probleme der Menschen gelöst würden, sie nachhaltiger leben würden.

unspecifiedLeider wurden bei einem solch komplexen Thema auch Verantwortlichkeiten hin und her geschoben. Dass teilweise unterschiedliche Begriffe verwendet wurden, aber im Grunde das Gleiche gemeint war, machte es für uns als Teilnehmende nicht leichter, Schlüsse zu ziehen. Ein Hauptproblem war, dass der Begriff „Wachstum” oft nur vage definiert wurde. Daher redete man teilweise aneinander vorbei, v.a. in der hintergründigen Debatte ob nun „Nullwachstum” oder Wachstum bestimmter Bereiche nötig sei.

Angesichts vieler Annahmen und Utopien lenkte Fred Luks von der WU schlussendlich den Blick auf den Unterschied zwischen Wünschbarem und Möglichem. Und in diesem Zeichen stand dann auch der letzte Tag, der den zukünftigen Entwicklungen gewidmet war und sich insgesamt leider etwas diffus gestaltete. Die Teilnehmer_innen zogen Zettelchen mit ermutigenden transformativen Mottos für unsere wirtschaftliche Zukunft; von den sieben Initiativen, die als Beispiele für zukunftsfähiges Wirtschaften vorgestellt wurden, konnten nicht alle überzeugen. Für uns bleibt schließlich die Frage offen, ob es nicht ambitioniertere Ansätze braucht als eine Umwelt-AG am Gymnasium, die auf Mülltrennung achtet. Gleichzeitig ergibt sich daraus aber auch ein Impuls, stärker an diesem Thema zu arbeiten. Und damit können wir gleich beginnen, denn zwischen den vielen neuen langfristigeren Anregungen und Fragen, die wir als Teilnehmerinnen mit nach Hause genommen habe, befinden sich auch einige Rezepte: zwar nicht von gerösteten Insekten, aber dafür von einigen anderen Speisen des leckeren vegan-vegetarischen Caterings.

 

Von Iris Frey und Adriana Bascone

Wachstum im Wandel Kongress 2016, WU Wien, Bericht für das ÖH-Boku Magazin

Wachstum im Wandel – Einblick in eine außergewöhnliche Konferenz
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