17.November 2015

CO2-Reduktionen andernorts einzukaufen und damit selber keine Treibhausgase minimieren zu müssen, wünschen sich viele. Dass diese Idee zum Scheitern verurteilt ist, wird immer deutlicher. Effektive Klimapolitik braucht keine neuen Marktinstrumente, sondern eine gesellschaftliche Transformation.

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Stephan Röhl – Heinrich Böll Stiftung Jutta Kill, Aktivistin vom Netzwerk „No to Financialization of Nature“

In der Ringvorlesung „Klimapolitik in der Sackgasse?“ der Initiative „System Change not Climate Change“ war am 3. November 2015 Jutta Kill zu Gast. Die Aktivistin vom Netzwerk „No to Financialization of Nature“ sprach über marktbasierte Instrumente der Klimapolitik und deren prominentestes Beispiel, den internationalen Emissionshandel.

Was ist Emissionshandel?
Emissionshandel ist ein marktbasiertes Instrument der Klimaschutzpolitik. Emissionen, die durch ein Unternehmen oder eine Person verursacht werden, sollen durch die Reduktion andernorts durch eine*n anderen Akteur*in eingespart werden. Dabei gibt es zwei Formen: Zertifikate und Gutschriften (sogenannte Offsets). Der Transfer von Verschmutzungsrechten wird dabei über den Markt geregelt. Dem liegt die Idee zu Grunde, dass allein die Gesamtsumme der weltweiten Emissionen zählt. Klimawandel ist ein globales Phänomen und daher sei es egal, wo auf der Welt Emissionen eingespart werden. Ein im Klimaschutzabkommen Kyoto-Protokoll festgehaltener Mechanismus zur Reduktion von Treibhausgasen ist der Clean Development Mechanism (CDM): Entwicklungsländer setzen Maßnahmen zur Emissionsminderung um und lassen sich die Einsparung zertifizieren. Industrieländer kaufen diese Zertifikate, die auf ihre im Kyoto-Protokoll vereinbarten Reduktionsziele anrechenbar sind. Doch geht diese Rechnung auf?Klimaneutral fliegen.
Die Idee CO2-Einsparungen verlagern zu können, hat ihren Weg auch in unseren Alltag gefunden: Viele Flug- oder Busunternehmen bieten ihren Kund*innen gegen eine kleine Extrazahlung klimaneutrale Reisen an. Das Unternehmen errechnet, wie viele CO2-Emissionen meine Reise verursacht und kauft äquivalent dazu Gutschriften von entsprechenden, zertifizierten Anbieter*innen und Projekten, meist im Globalen Süden. Somit können wir alle Grenzwerte überschreiten – egal ob diese gesetzlich oder moralisch festgelegt sind – und trotzdem unsere individuellen Klimaziele einhalten. Das Geld kann zum Beispiel in ein Aufforstungsprojekt fließen. Dank meiner Extrazahlung werden mehr Bäume gepflanzt, als in dem Projekt ohne diese Summe gepflanzt worden wären. In der Theorie kann das Projekt nur die CO2-Speicherung der zusätzlichen Bäume als Gutschriften verkaufen. Doch wie kann man gewährleisten, dass tatsächlich nur die zusätzliche CO2-Reduktion verkauft wird? Jutta Kill bringt es auf den Punkt: Dass die Reduktion zusätzlich stattgefunden hat, kann niemand wirklich beweisen. Dies gelte sowohl für die Gutschriften unseres Reiseanbieters, als auch für viele CDM-Projekte.Klimaretten für 2,50 Euro.
Ein Raunen geht durch das Publikum. Anscheinend hat Kill hier einen wunden Punkt getroffen. Einige Zuhörer*innen haben selbst schon das kleine Extra gezahlt und haken nach. Sie fragen, ob solch eine Zahlung nicht besser ist als gar nichts zu zahlen? Kill erklärt, Bäume zu pflanzen, ist nicht schlecht per se. Das gefährliche ist, dass einem damit die Illusion verkauft wird, man könne klimaneutral reisen. Zudem, so betont Kill, setzt es Emissionen für Luxuskonsum mit solchen für Lebensnotwendiges gleich. Menschen, die historisch gesehen weniger verbraucht haben und derzeit verbrauchen, sollen sich für unseren Luxus noch weiter einschränken und das am besten für möglichst wenig Geld. Geld für ökologische Projekte zu spenden, ist auch unabhängig von meinem Reiseunternehmen möglich, ginge es mir allein um das Klima. Doch wie sich zeigt, ist die Idee vom Ablasshandel auch heutzutage noch verlockend.
Kill hat schon viele Projekte besucht, auch solche mit mehreren Nachhaltigkeitslabeln. Aber es war noch keines dabei, das vor Ort keine Konflikte verursacht oder verschärft hätte. Jene, die Einschränkungen vor Ort hinnehmen müssen, sind selten die, welche das Geld bekommen. Zudem zeigen zahlreiche wissenschaftliche Studien, dass viele dieser Projekte Emissionen nicht nachweisbar reduzieren.Eine Idee breitet sich aus.
Trotz der Kritik wird Emissionshandel von der EU weiter forciert. Profiteure sind Unternehmen wie Shell oder E.ON. Sie plädieren für eine Umstrukturierung der Klimapolitik: Emissionshandel sei kein Teamplayer, sprich andere politische Instrumente wie Ziele für erneuerbare Energie oder Energieeffizienzmaßnahmen schränken die Funktionsfähigkeit ein und gehören daher minimiert.
Die Idee, welche hinter dem Emissionshandel steckt, beginnt sich auch auf andere Bereiche der Umweltpolitik auszudehnen, insbesondere im Bereich Biodiversität. Kill illustriert zugespitzt, was das in Zukunft bedeuten könnte, wenn beispielsweise eine Bürger*inneninitiative gegen die lokale Verschmutzung durch ein Unternehmen protestiert: Das Unternehmen stimmt den Vorwürfen zu und zückt gleichzeitig seine Gutschrift. Damit wird die Initiative zwar nicht zufrieden gestellt, dennoch schafft die Gutschrift dem Unternehmen eine neue Argumentationsbasis.Alternativen: Let the coal in the hole.
Doch was können wir dieser Entwicklung in der Klimapolitik entgegensetzen? Kill fordert, dass wir darüber diskutieren müssen, wann wir aufhören Erdöl und Kohle zu fördern. Sie verlangt, dass 80 Prozent der fossilen Energiequellen im Boden bleiben müssen. „Das ist die qualitative Debatte, die wir führen müssen“, betont sie. Jeder Wandel der Energiezufuhr in der menschlichen Geschichte, wie die neolithische und die industrielle Revolution, sind mit einer drastischen gesellschaftlichen Transformation einhergegangen. Es geht daher nicht darum, höhere Reduktionsziele festzulegen, sondern eine breite öffentliche Debatte darüber zu führen, wie diese Transformation zu bewältigen ist.

Die Autorin, Linnéa Richter, hat Internationale Entwicklung studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams. Das Redaktionsteam verfasst regelmäßig Beiträge über die Veranstaltungsreihe, die ihr auf ihrer Website oder hier bei uns lesen könnt.

Moderner Ablasshandel für den Klimaschutz.
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System Change, not Climate Change!