Presseaussendung von der Initiativgruppe “System Change, not Climate Change!” am 16.12.15:
PARISER KLIMAVERTRAG KEIN GRUND ZUM FEIERN
Kritik an fehlender Verbindlichkeit und falschen Lösungen
Für die österreichische Bewegung „System Change, not Climate Change!“ ist das Pariser Klimaabkommen kein Grund zum Feiern – eine Analyse, die soziale Bewegungen weltweit teilen. Was als Erfolg verkauft wird, beinhaltet keinerlei verpflichtende oder gar einklagbare Sanktionen zur Emissionsreduktion, keine konkreten Maßnahmen und keinen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Der Vertrag trägt die Handschrift der großen Klimaverschmutzer und Konzerne und verschweigt die Ursachen und Verursacher der Klimakrise (1). Er untergräbt die Rechte der bereits jetzt vom Klimawandel am stärksten gefährdeten Menschen.
Freiwillig und zahnlos
Das propagierte globale 1,5-Grad-Ziel liegt mit diesem Vertrag in weiter Ferne. Die freiwilligen und nationalen Zusagen werden nach aktuellem Stand zu katastrophalen 2,7°C bis 3.7°C Erderwärmung führen. Gültig ist der Vertrag erst ab 2020 – dann, wenn der CO2-Austoß, welcher zu 1,5°C-Grad Erwärmung führen wird, bereits erreicht ist. Die nationalen Beiträge sollen zudem erst ab 2023 alle fünf Jahre überprüft und unverbindlich nachgebessert werden. Ein Datum für das Erreichen der globalen Spitzenemissionen wird nicht genannt.
Das Ziel „in der zweiten Jahrhunderthälfte“ ein Gleichgewicht zwischen Emissionsausstoß und -bindung zu erreichen ist völlig unkonkret und bedeutet keineswegs das Aus für fossile Brennstoffe. So kann weiterhin am einen Ende der Welt Öl verbrannt werden, wenn am anderen Ende CO2 gespeichert wird – in Wäldern, Böden, gentechnisch manipulierten Pflanzen oder mittels riskanter Technologien (1). Das Abkommen öffnet für jene Länder, die am meisten emittieren, die Möglichkeit sich über Marktmechanismen aus ihrer Verantwortung freizukaufen.
Internationale Klimapolitik stellt Wachstums- und Profitlogik nicht infrage
„Paris erhält zwar die Klimakonvention am Leben. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten aber zwischen 80 und 90 Prozent der fossilen Energieträger im Boden bleiben. Dabei betragen die weltweit bekannten Öl- und Kohlereserven heute 35.000 Milliarden (35 Trillionen) Dollar,“ erklärt Ulrich Brand, Professor für internationale Politik und Experte für internationale Klimapolitik an der Universität Wien. „Diese enormen Profitinteressen und Machtstrukturen stützen ein Produktions- und Konsummodell, das auch die Logik der internationalen Klimapolitik bestimmt. Um diese erfolgreich zu ändern müssten sich die Regeln und Grundsätze der Weltwirtschaft nach den Klimazielen richten – und nicht umgekehrt. Doch Themen wie Handel, Landwirtschaft oder Verkehr werden im Abkommen völlig ignoriert“.
Menschenrechtliche Verpflichtungen werden ignoriert
Während der Verhandlungen zur Klimarahmenkonvention in Cancún 2010 einigten sich die Staaten noch darauf, bei “Klimaschutzmaßnahmen” die Menschenrechte zu achten. In Paris wurden die letzten diesbezüglichen Referenzen in die unverbindliche Präambel verfrachtet. Künftige “Klimaschutzmaßnahmen“ werden somit weiterhin die Rechte indigener Gemeinschaften verletzen – darunter etwa Waldschutzprojekte, mit denen sich große CO2-Emittenten in Industrieländern freikaufen (2). „Die großen Verlierer des Abkommens sind damit jene Menschen im globalen Süden, die bereits jetzt von den Folgen des Klimawandels am stärksten betroffen sind”, kritisiert Brigitte Reisenberger von FIAN.
Klimagerechtigkeit adé: Reiche Länder laden Last auf die Ärmsten ab
„Klimagerechtigkeit herzustellen und Schaden von den Ärmsten und Verletzlichsten abzuhalten ist auch ein deklariertes Anliegen der Kirche. Dazu braucht es systemische Veränderungen unserer Konsum- und Wirtschaftsweisen. Dies fordern katholische Entwicklungsorganisationen wie auch Papst Franziskus“, so Jakob Wieser, Geschäftsführer der Dreikönigsaktion. Doch auf Betreiben großer Verschmutzer enthält der Vertrag keine Grundlage für Haftung oder Schadensersatz für klimawandelbedingte Schäden und Verluste.
Das Abkommen sieht vor vorerst ab 2020 pro Jahr 100 Milliarden Dollar für “Entwicklungsländer” zu „mobilisieren“, um Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren. Im Vergleich: Laut Internationaler Energiebehörde IEA betragen die Subventionen für fossile Brennstoffe pro Jahr fünfmal mehr. Das Abkommen nennt mehrere Geldquellen, auch Exportförderungen und hoch verzinste Kredite. Auch werden bestehende Geldtöpfe wie jene aus der Entwicklungszusammenarbeit höchstwahrscheinlich einfach umgeschichtet und als „grün“ betitelt werden. Wieser fordert: „Diese ohnehin geringen Finanzzusagen müssen eingehalten werden, es braucht aber vor allem zusätzliche Mittel ohne Zahlenakrobatik und Mehrfachanrechnungen.“
Internationales Handelsregime sticht Klimavertrag
Die globalen Handelsströme sind für fast ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Doch während Regierungen im Handelsbereich laufend sanktionierbare Abkommen im Interesse transnationaler Konzerne vorantreiben, bleibt das Klimaabkommen völlig zahnlos. „Während die Regierungen, allen voran die EU und die USA in Paris die Klimaretter spielen, treiben sie gleichzeitig weltweit Handelsabkommen wie TTIP, CETA, TPP oder TiSA voran, die den Güterhandel ausweiten, Dienstleistungen weiter liberalisieren und – wie sie selbst eingestehen – zu noch mehr Emissionen führen werden. Zusätzlich geben sie Konzernen exklusive Klagerechte gegen Staaten, die die Handlungsspielräume von Regierungen für zukünftige Maßnahmen im Bereich Energiewende und Klimaschutz massiv einschränken. Verbote für den Abbau von fossilen Energieträgern (wie z.B. Fracking), den Bau von fossilen Infrastrukturen (Pipelines, Autobahnen etc.), die Erhöhung von Abgaben auf CO2 oder die Rekommunalisierung von Energieunternehmen können so Gegenstand von Konzernklagen für entgangenen Gewinn werden. Die Erfahrungen mit NAFTA zeigen, dass das bereits Realität ist”, kritisiert Alexandra Strickner von Attac Österreich.
Lebensgrundlagen von Millionen von KleinbäuerInnen unter Druck
Auch für die globale KleinbäuerInnenbewegung La Vía Campesina ist der Vertrag eine Mogelpackung. “Die industrielle Landwirtschaft gehört durch Massentierhaltung, Abholzung und hohen Einsatz von synthetischen Düngern zu den größten Verursachern von Treibhausgasen. Sie wird im Vertragstext nicht einmal erwähnt. Gleichzeitig wird marktbasierten Instrumenten, die sozial und ökologisch katastrophale Produktionsmodelle legitimieren, ein hoher Stellenwert eingeräumt. Mit Hilfe von Emissionshandel und Kompensationsmechanismen können Landgrabbing und die Spekulation mit natürlichen Ressourcen fortgesetzt werden. Und mit „Climate Smart Agriculture“ (3) forcieren großen Agrarkonzerne Monokulturen, Industrialisierung und Gentechnik. Der Klimawandel mit seinen verheerenden Folgen auf die Landwirtschaft wird so nicht gebremst. Wohl aber kommen die Lebensgrundlagen von Millionen von KleinbäuerInnen noch weiter unter Druck“, kritisiert Irmi Salzer, Biobäuerin und Mitarbeiterin der ÖBV-Vía Campesina Austria.
„System Change, not Climate Change!“
„System Change, not Climate Change!“ ist die Ansage einer wachsenden globalen und österreichischen Bewegung, die Widerstand gegen diese falschen Klimalösungen leistet. „Klimawandel ist kein isoliertes Umweltproblem sondern untrennbar mit der profit- und wachstumsorientierten Produktions- und Konsumweise verbunden“, so die Organisationen. Sie fordern einen Systemwandel, der u. a. die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe, Energiedemokratie, mehr öffentlichen und umweltschonenden Verkehr sowie eine agrarökologische Landwirtschaft und Ernährungssouveränität beinhaltet. Mehr Infos: 12 Schritte gegen Klimawandel und für Klimagerechtigkeit: http://bit.ly/1HWktPi
Rückfragen und Kontakt:
Alexandra Strickner, Obfrau Attac Österreich,
alexandra.strickner@attac.at, Tel: +43 664 104 84 28
Isabella Wieser, Dreikönigsaktion,
isabella.wieser@dka.at, Tel: +43 676 880 11 1000
Brigitte Reisenberger, FIAN Österreich,
brigitte.reisenberger@fian.at Tel: 01 – 2350239 12
Magdalena Heuwieser, Finance & Trade Watch,
magdalena.heuwieser@ftwatch.at, Tel: +43 6503773102
Irmi Salzer, Biobäuerin und Mitarbeiterin bei der ÖBV-Vía Campesina Austria
irmi.salzer@viacampesina.at, Tel: +43 69911827634
—
(1) Das Abkommen enthält kein einziges Mal die Wörter fossile Brennstoffe, Kohle, Öl, Gas, globalen Güterhandel, Individualverkehr, Fleischproduktion Palmöl oder andere Abholzungsursachen. Die Bereiche der zivilen Luftfahrt und des Seeverkehrs, die fast 10 Prozent der weltweiten Emissionen ausmachen, sind von jeglichem Ziel befreit.
(2) Carbon Capture and Storage: Industriell erzeugtes CO₂ soll abgeschieden, verflüssigt und unterirdisch gespeichert werden. Dies birgt enorme Risiken.
REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) ist ein marktbasierter Mechanismus, durch den Zertifikate für die Kohlenstoffspeicherleistung eines Waldes verkauft oder erworben werden sollen. Zur Kritik siehe: “Climate Smart Agriculture”: Mangels Kriterien, was wirklich „smart“ ist, stehen durchaus sinnvolle Initiativen und z. B. Gentechnik völlig gleichwertig nebeneinander. http://www.ftwatch.at/finanzialisierung-der-natur/landwirtschaft/
—
System Change, not Climate Change!“ wurde in Österreich von Finance & Trade Watch, Attac Österreich, Alternatiba, FIAN, ÖBV-Vía Campesina und der Dreikönigsaktion, Hilfswerk der KJSÖ, initiiert und wird mittlerweile von über 110 österreichischen Organisationen und Initiativen unterstützt. https://systemchange-not-climatechange.at/
—
PRESSESPIEGEL
Beitrag im Ö1-Mittagsjournal: http://oe1.orf.at/artikel/428297
Standard: http://www.clip.at/archivhades/attac_1698/print/20151217/20151217_1698_001.pdf
FM4: http://fm4.orf.at/stories/1765436/
ORF: http://religion.orf.at/stories/2747771/ und http://science.orf.at/stories/1765432/
Ökonews: http://www.oekonews.at/index.php?mdoc_id=1103623
Informationsstelle für Journalismus und Entwicklungspolitik: http://isje.at/?p=1301
Tiroler Tageszeitung: http://www.tt.com/politik/weltpolitik/10896226-91/klimaschutz-bewegung-sieht-keinen-grund-zum-feiern.csp
Oneworld: http://www.oneworld.at/start.asp?ID=261436
Erzdiözese Wien: http://www.erzdioezese-wien.at/site/home/nachrichten/article/47390.html