1984 verhindern Massenproteste ein Wasserkraftwerk bei Hainburg in den Donau-Auen. Beinahe 40 Jahre später regt sich Widerstand gegen den Bau der Lobau-Autobahn. Zwei Generationen von Aktivist*innen tauschen sich im Mosaik-Interview über die Entwicklung der Klimabewegung, Blockaden-Fetische und die Vereinbarkeit von Umweltschutz und Arbeiter*inneninteressen aus.
In einem Wiener Gastgarten sitzen sich zwei Au-Aktivist*innen gegenüber. Robert Foltin war in Hainburg weder an den regionalen Initiativen, der Kampagne des WWF, noch dem Konrad-Lorenz-Volksbegehren gegen das Wasserkraftwerk beteiligt. Für ihn, als linksradikalen Autonomen, wurden die Proteste erst mit der Besetzung der Stopfenreuther Au im Winter 1984 interessant. Beinahe 40 Jahre später organisiert eine Klimagerechtigkeitsvernetzung einen Aufstand in den Donau-Auen, gegen den Bau der Lobau-Autobahn und ihre Zubringerstraße. Das Motto der Vernetzung: Die Lobau wird das neue Hainburg. Monika Berger, Aktivistin bei System Change Not Climate Change, motiviert vor allem der Frust über die lange Untätigkeit gegenüber dem Klimawandel zu neuen Protesten.
Mosaik-Blog: Robert, wie kamst du damals zur Besetzung bei Hainburg?
Robert Foltin: Das hatte mit meinem Links-sein zu tun. Der Rodungstermin der Stopfenreuther Au war für den zehnten Dezember festgelegt, einen Tag davor gab es eine Großdemo mit 8000 Leuten in Wien. In der Nacht haben wir Autonomen begonnen, Barrikaden zu errichten. Morgens haben die „Gewaltfreien” unsere Barrikaden wieder abgebaut. Wegen Sitzblockaden wurden die Rodungen trotzdem schon nach ein paar Stunden abgebrochen. Das hat fast so eine Art Blockaden-Fetisch ausgelöst. Auf jedem Wegerl sind Barrikaden errichtet worden, manche waren mit rot-weiß-roten Fahnen geschmückt, andere wurden von Künstler*innen verziert. Ich habe, ehrlich gesagt, nur eine Nacht unten geschlafen. Aber ich bin immer in der Früh aufgestanden und mit dem Shuttlebus der ÖVP-nahen Studierendenorganisation, der Aktionsgemeinschaft, zur Besetzung gefahren.
Und dann folgte der Polizeieinsatz vom 19. Dezember…
Robert Foltin: Für uns Wiener*innen war das nicht so ein Schock. Die Bullen haben den ganzen Vormittag Leute verprügelt. Viele sind gegangen, weil es ihnen zuviel wurde. Zugleich sind massenhaft Besetzer*innen nachgekommen. Am selben Tag versammelten sich in Wien 40 000 Menschen zu einer Spontandemo gegen Polizeigewalt. Auch in allen anderen Bundesländern gab es große Demonstrationen. Die Regierung konnte sich keine bürgerkriegsähnlichen Zustände leisten, deswegen rief sie den Weihnachtsfrieden aus. Als das Urteil kam, dass nicht gerodet werden darf, bis alle Einsprüche abgearbeitet sind, hat sich abgezeichnet: Es ist vorbei.
Die Kronen Zeitung betitelte die brutalen Polizeieinsätze mit „Schande von Hainburg”. Welche Rolle spielt die mediale Berichterstattung für die Klimafrage?
Robert Foltin: Die Berichterstattung war äußerst freundlich. Ich habe damals gesagt, irgendwas machen wir falsch, wenn die Kronen Zeitung so positiv über uns schreibt.
Monika Berger: Die Medienberichterstattung ist sicher nicht so wichtig wie früher, weil die Bewegungen eigene soziale Medien nutzen können, um ihre Informationen zu verbreiten.
Robert Foltin: Die Polizei hatte damals eben das Pech, Journalist*innen zu verprügeln. Die waren empört. Heute kann man auch alles mit dem Handy filmen.
Monika Berger: Gleichzeitig denke ich, dass es heute wesentlich schwieriger ist, so überzeugende Bilder wie damals zu kreieren. Denn alle werden ohnehin ständig von einer Bilderflut überschwemmt.
Robert Foltin: Das Bild mit der blutenden Frau auf dem Cover vom Profil war schon einprägsam.
Anschließend an die Geschichte über Blockaden in Hainburg, die von Aktivist*innen auf- und von anderen wieder abgebaut werden – wie ist das in der Lobau-Vernetzung, gibt es Debatten über Aktionsformen?
Monika Berger: Die parlamentarischen und rechtlichen Wege sind in der Lobau bald ausgeschöpft und scheinen nicht funktioniert zu haben. Dadurch ist klar, dass es zivilen Ungehorsam braucht. Eine erste klare Ansage gegen das Lobauprojekt hat das Ziel, die Stadtstraße zu verhindern. Dort beginnen gerade erste Grabungen. Ohne die Lobau-Autobahn ist das eine Straße ins Nirgendwo, mit der Fakten geschaffen werden, um später die Autobahn zu rechtfertigen.
Deswegen wird der Protest bereits hier auf Blockaden und Besetzungen hinauslaufen. Aber immer in Kombination mit anderen Aktionsformen. Nicht jede Gruppe muss bei jeder Aktion mitmachen, alle können ihre unterschiedlichen Stärken einbringen. Es gab schon mehrere Demos, Tanzveranstaltungen und einen Aktionstag mit einer Blockade. Die Wirksamkeit unterschiedlicher Aktionen ist etwas, was wir von Hainburg lernen können. Die Pressekonferenz der Tiere, die Wetten-dass-Aktion, die sind in Erinnerung geblieben.
Die Partei „Die Grünen” haben durch Hainburg Aufwind erhalten, jetzt will das grüne Verkehrsministerium die Lobau-Autobahn evaluieren. Wie wichtig sind die Grünen für die Klimagerechtigkeitsbewegung?
Robert Foltin: Die Grünen brauchen die Bewegung für ihre Wähler*innenstimmen.
Monika Berger: Ich würde das so sehen, dass die Grünen die Bewegung brauchen, um einen Diskurs über wichtige, radikale Themen zu haben und diese Forderungen voranzubringen.
Robert Foltin: Anfang der Achtziger haben wir gar nicht auf Parteien gehofft, weil es noch keine grüne Partei gab.
Monika Berger: Ich weiß nicht, ob das so ein Unterschied zu heute ist. Es braucht letztlich einen politischen Stopp im Parlament. Aber der Druck muss von der Straße kommen, sonst werden sich die Parteien nicht bewegen.
In Hainburg hat die ansässige Bevölkerung die Demonstrierenden mit Lebensmittelspenden und heißem Tee unterstützt. Wieso war sie damals auf der Seite der Proteste?
Robert Foltin: Die Bewohner*innen der Umgebung waren von Anfang an gegen das Kraftwerk. Das ist ja klar, wenn direkt neben deinem Haus eine Staumauer entstehen und dein Spazierwald verschwinden soll.
Habt ihr in der Lobau ähnliche Erfahrungen mit Anrainer*innen gemacht?
Monika Berger: Es gibt Bürger*inneninitiativen aus der Region, die sich seit Jahren gegen den Bau des Tunnels einsetzen, deren Anliegen aber systematisch ignoriert wurden. Stattdessen werden ihnen Stauentlastung und Arbeitsplätze versprochen und, dass keine Autos mehr durch Wohnsiedlungen fahren. Dabei gäbe es dafür genug andere Lösungen, zum Beispiel den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln.
Ein Argument für den Lobau-Tunnel ist, wie du sagst, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Stärkung des Wirtschaftsstandorts im Speckgürtel. Geht es in euren Debatten auch um die Arbeiter*innen in der Region?
Monika Berger: Da macht die Politik vage Versprechungen, ohne dass es ein richtiges Konzept dazu gibt. Wir sollten uns eher überlegen, wie wir zukunftssichernde Branchen fördern. Aus Corona haben wir gelernt, dass essentielle Bereiche wie die Care-Arbeit stark unterfördert sind. Wir sind zum Beispiel gerade im Austausch mit dem „Mehr für Care”-Bündnis.
In den Achtzigern mobilisierte die Gewerkschaft Bau-Holz für den Bau des Wasserkraftwerks, auch hier ging es um die Sicherung von Arbeitsplätzen…
Robert Foltin: Im Mai 1984 gab es eine Demo von 40 000 Gewerkschafter*innen gegen die Umweltschützer*innen. Im Dezember wurden die Demos des Österreichischen Gewerkschaftsbundes von der SPÖ gestoppt. Die Bauarbeiten hätten damals aber ohnehin niemandem langfristig Arbeitsplätze gebracht. Und die Frage ist auch heute eher, warum die Mietpreise so steigen, dass alle Leute aus Wien herausziehen und dann pendeln müssen.
Ein Entscheid auf Basis des Wasserrechtsgesetzes stoppte letztlich den Bau des Kraftwerks – auch beim Lobau-Tunnel besteht die Gefahr einer Kontaminierung des Wasserspeichers. Könnte das Gesetz die Lobau retten?
Monika Berger: Hier gab es scheinbar einen Lernprozess. Keine Rodungen beginnen, bevor der rechtliche Prozess abgeschlossen ist. Aber die Richtlinien, die es gibt, berücksichtigen viele wichtige Maßnahmen für den Klimaschutz nicht, sondern beruhen auf veralteten Kriterien. Deswegen können wir uns darauf nicht verlassen.
Viele Argumente für- und gegen das Wasserkraftwerk und die Lobau-Autobahn scheinen sich zu ähneln. Ist die Gegenüberstellung eurer Proteste für euch ermüdend oder motivierend?
Robert Foltin: Die Verhältnisse sind so unterschiedlich. Ich weiß bei näherer Betrachtung gar nicht, ob man das vergleichen kann.
Monika Berger: Das heißt doch nur, dass sich Geschichte nicht wiederholen lässt. Durch den Erfolgsmoment Hainburg wissen wir, Widerstand funktioniert. Die Zeit danach bringt systematische Fragen auf: Warum war es so schwer, die Stimmung aufrecht zu halten und den nächsten Protest noch größer zu machen? Damit müssen wir uns jetzt beschäftigen.
Interview: Sarah Yolanda Koss
Dieses Gespräch wurde ursprünglich im Mosaikblog veröffentlicht und mit freundlicher Genehmigung hier übernommen.