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In der letzten Märzwoche treffen sich Politiker:innen und Lobbyist:innen für den europäischen Gasgipfel in Wien. Die Gruppe Zinnoberrot über die Gründe, aus denen sich die Gegenproteste speisen.

In Wien treffen sich von 27. bis 29. März mehr als 300 Vertreter:innen der europäischen Gaslobby mit Politiker:innen, um nach eigenen Angaben die ost- und westeuropäischen Gasmärkte neu zu bewerten und die Rolle von Gas für die Klimapolitik zu bewerben. Zu den Sponsor:innen der mehrtägigen Konferenz gehören unter anderem Mineralölgigant BP und die Raiffeisen Bank. Als Speaker sind der CEO des deutschen RWE-Konzerns und der Vizepräsident des norwegischen Öl- und Gasriesen Equinor geladen.

Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung nutzen den Gipfel, um in einer gemeinsamen Mobilisierung europäisch stärker zusammenzuwachsen. Das europäische Bündnis „blockgas“ lädt mit einer Choreografie aus zivilem Ungehorsam, Großdemonstration und einem Gegengipfel dazu ein, sich gegen die Profitorientierung im Energiegeschäft zu organisieren. Sauberes Gas, sagen wir, ist eine dreckige Lüge.

2022 – Das Jahr der steigenden Energiepreise

Es gibt noch immer kein Umdenken in der Klima- und Energiepolitik. Österreich und Deutschland verfehlten beide aufgrund von Industrie und Verkehr erneut ihre Klimaziele. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Klimakrise ist für uns klar: Sinnlose Produktionszweige müssen ebenso abgedreht werden wie eine auf motorisierten Individualverkehr ausgelegte Verkehrspolitik. Aktuelle Politikmaßnahmen orientieren sich jedoch nicht an einem wünschenswerten Wandel zum Weniger, sondern an den Empfehlungen jener Gaslobby, die sich im März in Wien trifft.

Liberalisierung als Wurzel hoher Energiepreise

Dies allein ist Grund genug, sich mit der Gaslobby anzulegen. Doch der Gipfel bietet auch die Möglichkeit, die Liberalisierung des Energiemarktes ins Zentrum zu rücken. Jene Liberalisierung, die neben der Knappheit ursächlich für die gestiegenen Energiekosten ist. Denn auch wenn Regierungen europaweit behaupten, die Rekordpreise hingen ausschließlich mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zusammen und die Rechten im Umkehrschluss den Sanktionen die Schuld geben: Die Energiepreise sind schon vor Februar 2022 deutlich angestiegen.

Ein Blick zwanzig Jahre zurück. Anfang der 2000er Jahre gehörte Österreich unter Schwarz-Blau I zu den absoluten Vorreitern der Marktliberalisierung im Energiesektor. 1996 schrieb die EU-Kommission vor, dass 30 Prozent der nationalen Strommärkte liberalisiert werden müssen. Der Regierung unter Wolfgang Schüssel war das nicht genug, sie liberalisierte den Markt komplett, also zu 100 Prozent. Seither gibt es keine behördlich festgelegten Tarife mehr. Was ein profitables Geschäft für die einen bedeutete, hat fatale Folgen für die anderen. Auf sogenannten „Spotmärkten“ wird Energie heute gehandelt. Es ist schlichtweg egal, ob sie aus russischem Gas oder aus Windenergie im Wiener Umland stammt. Der Preis bleibt der gleiche und orientiert sich ausschließlich am Markt.

Kein Profit mit unseren Grundbedürfnissen

Die Wien Energie behauptete nach ihrer Fast-Pleite im Herbst 2022, dass nur das Marktgeschehen Preise stabilisieren könnte. Das ist falsch. Denn würde – wie Lisa Mittendrein auf mosaik mehrfach forderte – die Frage der Grundsicherung im Zentrum der aktuellen Energiepolitik stehen, dann müssten sich Teilnehmer:innen des Wiener Gasgipfels ebenso wie die europäischen Regierungen die Frage gefallen lassen, warum überhaupt ein Geschäft mit einem Grundbedürfnis betrieben werden darf.

Dabei kennen wir die Antworten schon. Solange eine kleine Gruppe an Menschen vom Marktgeschehen profitiert, wird sich nichts ändern. Zugunsten der Profite Weniger wird also am Marktgeschehen festgehalten und Energie für ein überbordendes Wirtschaftswachstum verblasen.

Auf dem Silbertablett serviert: Internationale, antikapitalistische Klimakämpfe

Die Gaskonferenz gibt der Klimabewegung und auch den Protesten gegen hohe Energiepreise die Möglichkeit, gemeinsam gegen eine wahrlich unverschämte Energiepolitik zu protestieren. Auf dem Gegengipfel, der vom 24. bis zum 27. März stattfindet, wird an der Frage von Grundsicherung, einer alternativen Politik zu Wirtschaftswachstum und einer tatsächlichen Reduktion des gesellschaftlichen (und damit vor allem industriellen) Energieverbrauchs geknobelt. Zu klären ist dabei auch: Wie können wir gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen?

Die besondere Stärke der Mobilisierung liegt eindeutig in der Europäisierung der Kämpfe. Zur Erinnerung: Die Marktliberalisierung wurde auf europäischer Ebene beschlossen; was zeigt, dass ein kollektiver europäischer Angriff auf diese EU und ihre Energiepolitik notwendig ist. Der europäische Protest ermöglicht es, einen Kontrapunkt zu erstarkendem Nationalismus zu setzen. Ein internationaler Protest bietet zudem Gelegenheit, über neokoloniale Ausbeutung zu sprechen. Denn neben der Preispolitik, wegen der sich Konsument:innen mit absurd gestiegenen Energiepreisen konfrontiert sehen, finden Energieproduktion und dabei auch der Ausbau „grüner Alternativen“ meist auf dem Rücken des globalen Südens (bzw. im EU-Kontext oft auch in Osteuropa) statt.

Ob vor dem Hintergrund von Neokolonialismus, des Krieges, im Hinblick auf europäische Einkäufe von Gas oder menschenunwürdigen Forderung nach Zäunen zur Abschottung an den Außengrenzen: Gemeinsame Aktionen gegen diese EU(-Klima)-Politik ermöglichen der Bewegung, einen Bogen zwischen Ost und West, aber auch zwischen Sozialem und Ökologischen zu spannen. Ein Puzzleteil beim Versuch, ein gemeinsames europäischen Projekt von links unten zu formulieren, das auf der Befreiung von Marktlogik und auf der Orientierung am einem guten Leben gründet.

Warum wir gegen den Gasgipfel protestieren
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System Change, not Climate Change!