21.April 2016
Das FDCL (Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika) hat eine neue interessante Broschüre herausgebracht:
Die vermessene Natur
REDD: wie die Klimapolitik den Wald entdeckt und verändert
Wem gehört das Land und wie wird es genutzt – das sind Grundfragen gesellschaftlicher Entwicklung. Marx hat die Entstehung des Kapitalismus als eine Enteignung und Vertreibung vom Land dargestellt und diesen Prozess als ursprüngliche Akkumulation bezeichnet. Aber der Kampf um Land war damit nicht beendet, er geht bis heute weiter. Und in vielen Länder des Süden haben sich soziale Kämpfe und soziale Bewegungen um die Landfrage entwickelt.
Zur Landfrage gehört auch der Wald – etwa 30% der Landfläche der Welt sind von Wald bedeckt, mit rückläufiger Tendenz. Hauptursache dafür ist die Umwandlung von Wald in landwirtschaftlich genutzte Fläche – die Ausdehnung der Agrargrenzen auf Kosten des Waldes ist also ein weltumspannender Prozess der Aneignung von Land. Nach Schätzungen der Weltbank beruht der Lebensunterhalt von 1,6 Milliarden Menschen auf der Nutzung von Wäldern, darunter etwa 500 Millionen, die als Indigene gelten. Insbesondere die Wälder des Globalen Südens sind ein umkämpfter Lebensraum.
Wurde bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts die Rodung des Urwaldes noch als zivilisatorische Leistung gefeiert, hat sich in den letzten Jahrzehnten die Wahrnehmung von Wäldern radikal geändert. Insbesondere die tropischen Wälder gelten inzwischen als wichtiges Zentrum der Artenvielfalt, machten sogar als „Lunge der Erde“ mediale Karriere und auch die Rechte indigener Völker sind durch UN-Resolutionen zumindest verbal anerkannt.
Aber die jüngste und vielleicht folgenschwerste Neubewertung der globalen Bedeutung von Wäldern vollzog sich im Rahmen der Klimapolitik. Die Reduzierung von Entwaldung wurde als wichtiger Beitrag zur Verringerung von CO2-Emissionen identifiziert und so avancierte die Erhaltung des Waldes zu einem fundamentalen Teil der internationalen Klimaverhandlungen.
Was auf den ersten Blick als sinnvoll erscheint, nahm aber bald eine Form an, die Walderhaltung im Namen des Klimas zu einem Streitthema machen. Denn der seit Jahren diskutierte Mechanismus REDD (für Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) will nicht nur Entwaldung reduzieren, sondern auch eine neue Logik in internationale Klima- und Entwicklungszusammenarbeit einbringen: die Bezahlung aufgrund von nachgewiesener Reduzierung von CO2 und den Handel mit CO2-Zertifikaten. REDD wurde daher bald als Ablasshandel und Vermarktung der Natur kritisiert, während die Verfechter_innen von REDD diese Kritik als ideologische Verblendung zurückweisen. Dabei ist die Debatte um REDD immer komplexer und immer mehr zu einer Veranstaltung von Spezialist_innen geworden. Aber der Schutz der Wälder und REDD ist zu wichtig, um dieses Feld den so genannten Expert_innen zu überlassen. Denn es geht hier um Fragen, die für die Zukunft von internationaler Kooperation und eine Neuausrichtung globaler Umweltpolitik die Weichen stellen.
Warum das so ist, und welche Fallstricke in dem vorgeschlagenen Mechanismus zur Reduzierung von Entwaldung stecken – dem will das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) mit der vorliegenden Broschüre nachgehen. Im ersten Teil wird kurz Kontext und Entwicklung der Verknüpfung von Wald- und Klimapolitik rekapituliert. Im zweiten Kapitel werden die konzeptionellen Grundzüge von REDD dargestellt und diskutiert. In den folgenden Kapiteln geht es um die Erfahrungen bei der Umsetzung von REDD und zum Abschluss versuchen wir eine Analyse der aktuellen Beschlüsse, die auf dem Klimagipfel in Paris im Dezember 2015 gefasst worden sind.