GUTES KLIMA FÜR ELITEN
Der Vertrag von Paris blendet entscheidende Probleme aus. An den Machtverhältnissen ändert er schon gar nichts.
Ulrich Brand
Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau am 20. Dezember 2015
Wird der 12. Dezember 2015 als klimapolitischer Wendepunkt in die Geschichte eingehen? Seit einer Woche wird intensiv diskutiert, was die Klimakonferenz gebracht haben soll. War angesichts der komplizierten Interessenlage nicht mehr drin? Kann man froh sein, dass nun ein grundlegender Konsens erreicht und ein Prozess auf den Weg gebracht wurde? Oder geht das Abkommen mit seiner Unverbindlichkeit sowie der markt- und technikfreundlichen Ausrichtung in die falsche Richtung? Hat in Paris doch jemand „gewonnen“ in dem Sinne, dass seine Interessen besonders geschützt sind?

Aus meiner Sicht sind die politischen Gewinner weiterhin die Bergbau- und Energiefirmen, die fossile Brennstoffe fördern und verbrennen. Machen wir uns klar: Um zwischen dem Beginn der Industrialisierung und dem Jahr 2100 die Erderwärmung auf 1,5 oder maximal zwei Grad zu begrenzen, müssen zwischen 80 und 90 Prozent der fossilen Energieträger im Boden bleiben. Da geht es um sehr viel Geld und Macht. Die weltweit bekannten Öl- und Kohlereserven heute haben einen Wert von 35 Billionen, also 35 000 Milliarden Dollar. Im letzten Jahr haben die US-amerikanischen und kanadischen Öl- und Gasförderer 235 Milliarden Dollar Gewinn (nicht Umsatz!) gemacht.

Wie wird deren Macht eingehegt? Können die Ansprüche der Investoren auf hohe Renditen in andere Bereiche umgelenkt werden? Diese Frage wurde in Paris noch nicht einmal gestellt. Die Energie- und Bergbauunternehmen haben so kräftig lobbyiert, dass im gesamten 32-seitigen Abkommen an keiner Stelle überhaupt die Worte Öl, Gas oder Kohle erwähnt werden. Ja mehr noch: Die Atomwirtschaft konnte ihre „nuklearen Lösungen“ gegen den Klimawandel präsentieren.

Gewonnen haben auch die Agrarkonzerne, die in Paris ein wahres Festival der „klima-intelligenten Landwirtschaft“ (climate-smart agriculture) veranstalteten. Mit industrialisierter, tendenziell monokultureller Landwirtschaft und gentechnisch verändertem Saatgut sollen alle Probleme bearbeitet werden. Potenziell verlieren jedoch Hunderte Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die mit wesentlich weniger Energie-Input und Chemikalien arbeiten und in diesem Sinne nachhaltig sind. Selbst die Vereinten Nationen haben im Weltagrarbericht vor einigen Jahren festgehalten, dass ein Umschwenken in Richtung Nachhaltigkeit sich vor allem auf kleinbäuerliche und ökologisch orientierte Landwirtschaft stützen muss.

Was also tun? Wichtig wird zum einen sein, ob und wie die vagen Entscheidungen von Paris, die ja bislang eher Versprechen sind, konkretisiert und umgesetzt werden. Ist beispielsweise der Klimafonds, der ab 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar befüllt werden soll, wirklich nach den Bedürfnissen der Entwicklungsländer ausgerichtet oder eher eine Exportförderung für die Industrieländer? Inwieweit handelt es sich um mehr oder weniger kommerzielle Kredite und welche Bedingungen werden an die Unterstützung geknüpft?

Wir sollten zudem von der Fixierung auf Strom wegkommen. In Österreich etwa kommen bereits 70 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie. Klimawandel wird aber auch durch den Verkehr und die industrielle Landwirtschaft verursacht, auf globaler Ebene durch die rasante Abholzung von Wäldern.

Was die Klimadiplomatie wieder einmal zeigt: Der Druck und das Umsteuern muss viel stärker in den Gesellschaften erfolgen. Hier in Deutschland, in der EU, aktuell dramatisch in China. Es bedarf weitreichender politischer Veränderungen, damit sich die Regierungen und Unternehmen nicht mehr mit Verweis auf Wachstumsprobleme und Arbeitslosigkeit herausreden, wenn im Jahr 2023 die von ihnen in den letzten Monaten eingebrachten Selbstverpflichtungen überprüft werden.

Die entscheidenden Fragen bleiben bislang ausgeblendet. Der internationale Mechanismus reicht nicht aus, um die Produktions- und Lebensweise grundlegend und klimafreundlich umzubauen. Denn die jetzige Lebensweise ist eng verbunden mit Interessen- und Machtstrukturen, mit einer Kultur des Immer-mehr, die täglich verkündet und gelebt wird. Wenn wir in diesen Tagen die Chefverhandler von Paris hören, dann ist der Ton: „Kein Problem. Wir kriegen das alles hin.“ Eigentlich soll gesagt werden: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“

Dieselben politischen und wirtschaftlichen Akteure, die in Paris sich zu ambitionierten Klimazielen bekannten, verhandeln Freihandelsabkommen wie TTIP und Ceta, was erwiesenermaßen zu einem Anstieg der Emissionen und anderer Umweltbelastungen führen wird. In der vergangenen Woche fand in Nairobi die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO statt, deren Politik alles andere als klimafreundlich ist. Auch die Klimarahmenkonvention zählt die Emissionen aus grenzüberschreitendem Transport nicht mit. Der Versuch, die Emissionen aus Schiffs- und Flugverkehr künftig anzurechnen, wurde wieder herausverhandelt. Denn das könnte ja indirekt das Freihandelsdogma anzweifeln.

Schließlich muss Klimapolitik nicht nur mit Fragen politischer und wirtschaftlicher Macht verbunden werden, sondern auch mit solchen der Gerechtigkeit. Denn wenn Menschen Angst vor sozialem Abstieg oder Ausgrenzung haben, wenn sie sehen, dass die Politik zwar große Ziele formuliert, aber dann doch zu sozialer Spaltung und zum Positionserhalt der Eliten beiträgt, dann werden sie kaum den Appellen zu mehr Klimaschutz folgen.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien mit den Forschungsschwerpunkten Umwelt- und Ressourcenpolitik.

Gutes Klima für Eliten
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